Der Krankheit die Stirn bieten - Patienten zwischen Hoffnung und Verzweiflung
Erleben, das meint eigentlich Erleiden", schrieb Robert Gernhardt, als sich langsam von seinem Herzinfarkt erholte. So lange wir unseren Körper nicht schmerzhaft spüren, nehmen wir ihn kaum wahr. Allzu selbstverständlich ist es, dass die "Maschine Mensch" funktioniert und die Organe ihre Dienste unauffällig verrichten. Doch wenn das Herz streikt, ein Knoten in der Brust wächst oder ein Routinetest plötzlich Werte zeigt, die nicht normal sind, gerät das Leben aus den Fugen. Die Konfrontation mit schweren, womöglich todbringenden Krankheiten stellt Betroffene und Angehörige vor ungeahnte Belastungen. Karriere, Alltagsprobleme mit dem Partner oder den Kindern - alles verblasst angesichts der Bedrohung durch ein solches Leiden. Dabei spielen der Schock der Erkenntnis, das Gefühl von Ohnmacht, aber auch erwachender Lebenswille eine Rolle. Wie gehen Menschen mit schweren Krankheiten um? Wie kann man noch Zukunftsplanung betreiben angesichts weitgehend negativer Aussichten? Sich für die eigene Heilung engagieren und sogar darüber hinaus? Wie wichtig ist es, einen starken Willen zu entwickeln und zum mündigen Patienten zu werden? Welchen Stellenwert hat die Verzweiflung und welchen die Hoffnung? Wieland Backes fragt bei seinen Gästen nach: Hildegund Heinl betreute als Ärztin und Psychotherapeutin andere Menschen. Durch ihren Schlaganfall erlebte sie sich auf einmal selbst als Patientin. Es fiel ihr schwer, die halbseitige Lähmung, die vielfältigen Beeinträchtigungen und die Abhängigkeit von fremder Hilfe zu akzeptieren. Sogar am Sinn des Lebens zweifelte sie und nahm trotzdem den Kampf um ihre Wiederherstellung auf. Mit Erfolg: Heute gibt sie wieder Fortbildungen in Psychosomatik und sagt: "Es ist eine Gnade, dass man sich daran gewöhnt, krank zu sein. Aber ich möchte lieber gesund sein." Für Sybille Pente bedeutete ihre Diagnose Lymphdrüsenkrebs eine tödliche Bedrohung. Dennoch war ihre Krankheit der entscheidende Impuls, ein anderes Leben zu beginnen. Die ehemalige Hausfrau und Mutter zweier erwachsener Söhne trennte sich noch während der Chemotherapie von ihrem Mann. Heute betrachtet sie sich als geheilt, betreibt eine Heilkundepraxis und studiert Medizin. Sie sagt: "Ohne die Krankheit wäre ich emotional zugrunde gegangen." Renate Brochhaus: Die Mutter des vierjährigen Tom musste über ein Jahr lang extreme Schwankungen zwischen Hoffnung und Verzweiflung aushalten, denn ihr Sohn war an einem lebensbedrohlichen Tumor erkrankt. Er hat es geschafft - heute ist er ein gesundes Kind, und seine Eltern freuen sich über ein ganz normales Familienleben. Auch wenn sie wissen, dass die Rückfallquote bei seiner Krankheit hoch ist. Renate Brochhaus sagt: "Kämpfen ist gut. Aber wenn es nicht mehr geht, soll ein Kind in Würde sterben dürfen." Der Psychoanalytiker und -onkologe Prof. Dr. Volker Tschuschke hat sich eingehend mit den seelischen Aspekten schwerer Krankheiten befasst. Dass bestimmte Charaktere dazu neigen, Krebs zu bekommen, ist ein Irrglaube. Schwerkranke aber, die nicht resignieren, sondern sich auflehnen, haben bessere Chancen. Diese "schwierigen", weil anspruchsvollen Patienten konzentrieren alle Kräfte auf die Heilung. Volker Tschuschke sagt: "Eine kämpferische Einstellung verlängert das Leben." Joachim Jergentz: Der ehemalige Geschäftsführer der Aids-Hilfe Stuttgart ist seit 17 Jahren mit HIV infiziert und gilt damit als Langzeit-Überlebender. Jahrelang verheimlichte er sowohl die Ansteckung als auch seine Homosexualität. Erst als er in einer Kur andere an der Immunschwäche Erkrankte traf, merkte er, wie gut es tut, über alles reden zu können. Seitdem engagiert sich der heute 31jährige, der viele Freunde durch die Krankheit verlor, gegen die Ausbreitung von Aids. Er sagt: "Ich gebe dem Virus in mir keine Chance!" Dass ein starker Wille allein nicht alles ist, musste Elfriede Wörner, die Witwe des an Darmkrebs verstorbenen Ex-Nato-Generalsekretärs Manfred Wörner, erfahren. Bis zum Schluss kämpfte er voller Hoffnung und erlag dennoch der zu weit fortgeschrittenen Krankheit. Elfriede Wörner bekam vor drei Jahren selbst Darmkrebs, konnte aber geheilt werden. Sie sagt: "Ich habe ein zweites Leben bekommen!" Heute engagiert sie sich bei der Stiftung "LebensBlicke" für die Aufklärung und Früherkennung dieser Krankheit. Alexandra Rokohl: Die an Multipler Sklerose erkrankte Mutter von vier Kindern ist seit sechs Jahren auf den Rollstuhl angewiesen. Von der Schulmedizin ist sie enttäuscht. Stattdessen lässt sich anthroposophisch behandeln. Obwohl sie ihre Grenzen täglich spürt, lässt sie sich nicht unterkriegen: Mit ihren Schlittenhunden fährt sie Rennen und sammelt so Spenden für die Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft. Mitleid lehnt sie ab - Alexandra Rokohl bietet sowohl ihrer Krankheit als auch einer behindertenfeindlichen Umwelt die Stirn.
- 25.10.2002 22.00, SWR, Nachtcafé
- 26.10.2002 08.45, SWR, Nachtcafé
- 28.11.2002 10.15, 3SAT, Nachtcafé
- 19.04.2003 08.45, SWR, Nachtcafé