Leben auf Pump
Jetzt kaufen, später zahlen. Das hat sich zur Devise vieler Bürger entwickelt. Ein flottes neues Auto wird geleast statt bezahlt, und die neue Einrichtung oder der supermoderne Fernseher per Finanzkauf abgestottert. Auch wenn das Geld hinten und vorne nicht reicht, zum Urlaub auf Raten langt es allemal. Galt es früher als ehrenrührig Schulden zu machen, so wird das Leben auf Pump heute immer beliebter. Ob aus der Not geboren oder weil man sich beim Shoppen mal wieder nicht im Griff hatte: Jeder Haushalt hat im Schnitt 40.000 Euro Schulden. Vor allem Familien mit Kindern sind überproportional in den Miesen. Wenn Arbeitslosigkeit, Krankheit oder Scheidung dazukommen, ist schnell die Grenze zum Ruin erreicht. Doch über Schulden spricht man nicht. Wissenschaftler stellen fest, dass kaum jemand wirklich etwas von Krediten und von Geldanlagen versteht. Besonders Jugendliche haben längst den Überblick über ihre Finanzen verloren und stehen häufig bei Mobilfunkanbietern in der Kreide. Was bringt Menschen dazu, über ihre Verhältnisse zu leben? Sind Konsumentenkredite und Ratenkäufe nicht auch Motor für die Wirtschaft? Ist Sparen wirklich noch erstrebenswert oder sollte man sich nicht ab und an einen Traum einfach durch Geld von der Bank erfüllen? Die Gäste: Ein Leben auf Pump ist für Rudolph Moshammer heute undenkbar, denn in Sachen Schulden ist der Münchner Modeschöpfer ein gebranntes Kind. Als junger Erwachsener hatte er, teils in Tag- und Nachtarbeit, den Schuldenberg seines ruinierten Vaters abzuzahlen, später lastete der Kredit für das Modegeschäft schwer auf seinen Schultern. Heute ist er schuldenfrei und meidet selbst Raten- und Leasingverträge. Seinen Rolls Royce bezahlte 'Mosi' bar und Champagner kauft er dort, wo er am günstigsten ist. Seine Erkenntnis: "Positives Denken ist schön und recht, aber wenn du Schulden hast, hilft es nichts." Hat sich die Berliner Unternehmerin und Performance-Künstlerin Lena Braun erst mal ein neues Projekt in den Kopf gesetzt, dann wird sich auch eine Geldquelle auftun, so die Einstellung der 42-Jährigen. Ob sie nun ihren Dispositionskredit überzieht, einen neuen Kredit aufnimmt oder Freunde um Bares anpumpt, spielt für sie keine Rolle. Hauptsache, die neue Galerie, das Cabaret oder der Künstlertreff kommen an. Und wenn die finanzielle Seite nicht stimmt, dann blendet sie diese eben aus: "Geld soll mein Leben nicht negativ beeinflussen", weshalb sie sich über ihre Schufa-Einträge auch keine großen Gedanken macht. Ob Lena Braun in Zukunft kreditwürdig sein wird, hängt auch vom Urteil eben dieser 'Schufa' ab. Denn die "Schutzgemeinschaft für allgemeine Kreditsicherung" registriert seit mehr als 75 Jahren das Schuldenverhalten der Deutschen. Deren Vorsitzender Rainer Neumann kommt aufgrund einer umfangreichen Studie zu dem Ergebnis, dass die Zahlungsmoral im Lande grundsätzlich nicht nachgelassen hat. Dennoch warnt er davor, das Leben auf Pump über zu strapazieren. Neumann sieht die Ursachen der privaten Verschuldung weniger in der leichtfertigen Vergabe von Bankkrediten als vielmehr in der persönlichen Grundeinstellung des Vebrauchers: "Das liegt an der persönlichen Prägung, der Grundbereitschaft zum Risiko", erklärt der 52-jährige Diplom-Mathematiker. Dem widerspricht der Sozialwissenschaftler Dieter Korczak (55), Gutachter des ersten Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung. Im Gegensatz zu Neumann sieht er die Banken in der Pflicht, die oft zu leichtfertig Kredite an ihre Kunden vergeben und damit die private Schuldenspirale in Gang setzen. Kreditnehmer auf den Typus der Schuldnerpersönlichkeit zu reduzieren, lehnt Korczak ebenso ab. Dadurch seien die sozialen Ursachen für ein Leben auf Pump, wie zum Beispiel Bürgschaften und familiäre Schicksalsschläge, zu wenig berücksichtigt. Gabriele Lenz traf es doppelt: Erst die Scheidung, dann der Tod ihres Exmannes führten zu einem Schuldenberg von fast einer Million Euro. Jahre zuvor hatte sie für einen umfangreichen Firmenkredit gebürgt und später - im Zuge der Ausweitung der familieneigenen Schreinerei - selbst Schulden aufgenommen. Nun will die 40-Jährige ihren Absturz vom luxuriösen Leben in bedrückende Armut mit einer Privatinsolvenz auffangen. Doch die Mutter zweier Söhne kann ihrem Schicksal auch positive Seiten abgewinnen: "Ich habe gelernt, dass es im Leben wichtigere Werte gibt als Geld." Geld spielte für Sieglinde Zimmer mehr als 20 Jahre keine Rolle, denn sie hatte nur eines im Sinn: Shoppen! Die ehemalige Sekretärin war kaufsüchtig, wollte für sich und ihre Familie heile Welt spielen. Kein Bekleidungsgeschäft, kein Kaufhaus war vor ihr sicher. Kleider, Röcke und Blusen stapelten sich in ihren Schränken; Rechnungen, Mahnungen und Vollstreckungsbescheide ignorierte sie. Bis zu einer Sammelklage Mitte der 90er Jahre: Mehr als hundert Gläubiger forderten an die 200.000 Mark. Ein Schuldenberg, den die Frührentnerin wohl bis an ihr Lebensende abzutragen hat. Achmet Ayyildiz wurde bereits als junger Erwachsener Opfer des eigenen Größenwahns und der leichtfertigen Kreditvergabe durch die Banken. Noch in der Lehre das erste Auto, dazu schicke Klamotten und teure Handy-Rechnungen. Ein hoher Dispo, mehrere Kreditkarten und Konsumentenkredite ermöglichten dem heute 30-Jährigen ein angenehmes Leben auf Pump. Doch dann kam die Arbeitslosigkeit. Und unterm Strich blieb ein Schuldenberg von 55.000 Euro. Die Banken drehten den Geldhahn zu, Ayyildiz versank in Depressionen. Heute stehen ihm zehn Euro täglich zur Verfügung. Resultat eines Bereinigungsplans, den er mit Ulrike Fetscher (43) von der Tübinger Schuldnerberatung ausarbeitete. Die Sozialpädagogin, die immer mehr mit den Schuldnerkarrieren junger Erwachsener zu tun hat, nimmt ihre Klienten in Schutz: "Das Schuldenproblem ist kein individuelles, sondern ein gesellschaftliches Problem."
- 23.01.2004 22.00, SWR, Nachtcafé
- 24.01.2004 08.45, SWR, Nachtcafé
- 06.07.2004 10.15, 3SAT, Nachtcafé