Arbeitskampf als Ego-Trip - streikt künftig jeder nur für sich?
Die Bahn streikt weiter! Nein - nicht ganz. Es sind rund 20.000 Lokführer, die nach dem Motto: ?Alle Räder stehen still, wenn die GDL das will? die Muskeln spielen lassen. Sie kämpfen für 31 Prozent mehr Lohn und einen eigenständigen Tarifvertrag. Anfangs fanden ihre Forderungen eine Menge Verständnis - ohne Zweifel sind die Lokführer, angesichts ihrer verantwortungsvollen Tätigkeit, schlecht bezahlt. inzwischen aber mehren sich die Stimmen, die ihnen Egoismus vorwerfen: Rücksichtslos sei ihr Kampf für einen "Extrawurst-Tarifvertrag" auf dem Rücken der Bahnkunden. Erinnerungen werden wach an die Ärzte und Fluglotsen, die ihre besondere Stellung auch dazu benutzten, Tarifforderungen durchzusetzen, von denen andere Gewerkschaften nur träumen können, weil ihre Mitglieder nicht an solch entscheidenden Schalthebeln sitzen. Und: Die Lokführer streiken nur für ihre eigenen Interessen. Die Kolleginnen und Kollegen, die am Schalter arbeiten, in den Zügen oder in der Wartung, werden von den eines Tages erstreikten Lohnerhöhungen nicht profitieren. Die beiden anderen Bahngewerkschaften und viele große Arbeitnehmerorganisationen sind sauer auf die GDL. Zerbröselt die Solidarität, die so lange das größte Kapital der Arbeitnehmer im Arbeitskampf war? In der Postbranche setzt die Bundesregierung - Seite an Seite mit der Deutschen Post - gerade einen Mindestlohn von 9,50 Euro durch. Die private Konkurrenz ist empört. In der vergangenen Woche gab es - ein höchst ungewöhnlicher Vorgang - Demonstrationen von privaten Postboten für einen niedrigeren Lohn! Verkehrte Tarifwelt? Verlangt der Trend zum Niedriglohn neue Strategien? Die Entwicklung der realen Nettolöhne macht den Betroffenen wenig Freude, sie sind heute auf dem Stand von vor zwanzig Jahren. Die Zahl der Unternehmen steigt, die weniger als sechs Euro Stundenlohn zahlen. Bringen Mindestlöhne mehr Gerechtigkeit? Oder gefährden sie Tarifautonomie und Arbeitsplätze? Haben die großen alten Gewerkschaften bald ausgedient, weil kleine Berufsgruppen nach der Devise "Jeder für sich, alle gegen alle" ihre Interessen rücksichtslos durchziehen? Sind wir nach langen Jahrzehnten der Arbeitnehmer-Solidarität auch beim Arbeitskampf auf dem Weg in die "Ego-Gesellschaft"? Über diese und andere Fragen diskutiert Maybrit Illner mit ihren Gästen.
- 18.10.2007 22.30, ZDF, Maybrit Illner
- 19.10.2007 03.15, ZDF, Maybrit Illner
- 19.10.2007 17.30, Phönix, Maybrit Illner