100 Filme: The Straight Story - Eine wahre Geschichte (The Straight Story)

Dieser Text ist Teil meiner Reihe mit 100 bedeutsamen Werken der Filmgeschichte. Wenn Sie mehr dazu wissen möchten, lesen Sie bitte zunächst den kurzen Einführungstext; da erkläre ich etwas genauer, was das hier soll.

The Straight Story - Eine wahre Geschichte (The Straight Story)

Roadmovie, USA 1999, Regie: David Lynch, mit Richard Farnsworth, Sissy Spacek, Harry Dean Stanton, Everett McGill

Inhalt: Der 73jährige Alvin hat seinen Bruder, der 500 Kilometer entfernt wohnt, schon lange nicht mehr gesehen. Vor vielen Jahren haben sich die beiden zerstritten. Als Alvin erkennt, dass ihm nicht mehr viel Zeit bleibt, macht er sich auf den Weg, um sich mit seinem Bruder zu versöhnen. Allerdings hat er keinen Führerschein. Und so setzt er sich auf seinen Rasenmäher und fährt los …

Filmhistorisch bedeutsam, weil: Regisseur David Lynch ist gemeinhin nicht gerade bekannt für straight stories, also geradlinig und schnörkellos erzählte Geschichten (obwohl er immer mal wieder bewiesen hat, dass er es kann, zum Beispiel in Der Elefantenmensch, 1980). Schon eher wird sein Name mit filmischen Verwirrspielen wie Mulholland Drive assoziiert. Auch wenn Bildsprache, Montage und Rhythmus in seinen eher experimentellen Werken innovativer sind, so berührt seine straight story doch ungleich mehr und demonstriert geradezu lehrbuchhaft, wie sich große Emotionen ohne sentimentales und/oder manipulatives Gesülze vermitteln lassen. Nicht nur die Story ist straight, auch die Inszenierung ist es: ganz sachdienlich auf den Punkt, ohne Eitelkeit und immer im Dienst der vorzüglichen Darsteller.

In weniger fähigen Händen wäre eine solche Geschichte vielleicht zum netten Ulk über einen skurrilen Sonderling verkommen oder - noch schlimmer - zu einem tränenseligen klebrigen Rührstück. Aber Lynch weiß genau, wann er Bilder und Situationen für sich selbst sprechen lassen muss, und dann muss das auch nicht zerlabert werden. Lynch hat seinen Film dabei ganz dem Tempo des gemächlichen Rasenmähers angepasst. Er erzählt ohne Hast, aber sehr zielstrebig, mal mit viel Witz, dann mit Sinn für Spannung. Und mit derselben Beharrlichkeit wie Alvin kommt er schließlich ans Ziel und schafft es, sein Publikum emotional zu überwältigen. Wie sagte es ein Kritiker damals nach der Pressevorführung ganz spontan:

Wer davon unberührt bleibt, muss ungefähr das Gemüt von einem Pfund Schweineleber haben.

Recht hat er.

Abspann: Hauptdarsteller Richard Farnsworth wurde im Jahr 2000 mit einer Oscar-Nominierung belohnt. Im Oktober desselben Jahres erschoss er sich im Alter von 80 Jahren nach einer Krebsdiagnose.