Autorin:
Nachtschwester Ingeborg
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Hallo, ihr Lieben,
dies ist ein Beitrag für alle Fettsäcke und solche, die es werden wollen. Durch freiwillige Angaben verrät euch die Lebensmittelindustrie, ob das im wesentlichen aus Kohlehydraten bestehende Produkt, das ihr gern während der Sportschau zum Aldi-Sixpack knabbert, vorteilhaft für die schlanke Linie ist. Das ist doch löblich, finden wir von der KafüsoFA. Denn da die meisten Leute nichts von Zahlen verstehen, fällt es den Herstellern leicht, die Nährwertangaben wunderbar schönzurechnen.
Zuletzt ging es während der Nachtschicht im Schwesterzimmer wieder hoch her. Zwar nerven einen ab und an die ganzen zur Entgiftung eingelieferten Alkis, die auf Turkey nach neuem Sprit schreien, aber zur Not lassen wir sie eben mitsaufen (vorausgesetzt, sie geben einen aus; für lau mitbechern läuft bei uns nicht, okay?). Neulich kam Schwester Birgit mit ein paar Chipstüten aus dem Supermarkt von nebenan reingeschneit und machte sich fast ins Höschen vor Freude: "Schaut mal, wie kalorienarm das ist! Das hat ja fast weniger als mein Salat, wenn ich das Dressing weglasse! Da können wir jetzt aber mal richtig zuschlagen!"
Nun war Birgit noch nie eine Leuchte im Rechnen, also schaue ich mir die Verpackung mal an. Nur "101 kcal" und "3,6 Gramm Fett", das sind für so eine 125-Gramm-Tüte Chips ja wirklich superniedrige Werte. Nur: die gelten nicht für die ganze Tüte oder für die üblichen 100 Gramm, sondern für eine 25-Gramm-"Portion", also von der Menge das, was man sich normalerweise hinterher aus den Zähnen pult. Leider hat Schwester Birgit mal wieder diese "Portionsgröße" übersehen (wie sie das gern macht, weshalb in letzter Zeit ihre Hüften auch ein wenig aus dem Leim gehen, und sie fragt sich immer warum). Die Angabe "101 kcal" setzt halt voraus, dass man sich mit dieser Chipstüte nicht weniger fünf Tage beschäftigt! Das ist natürlich eine überaus realistische Einschätzung.
Vom selben Hersteller hat Birgit auch eine Tüte Käsebällchen mitgebracht. Damit kommt eine Person laut Verpackungsangabe sogar sechs Tage aus. Super! Umgerechnet auf die üblichen 100 Gramm kommen Birgits schlankmachende Käsebällchen auf propere 524 kcal, und damit kann man locker Ferkel mästen.
Jetzt kommen natürlich wieder so manche Gesundsheitsapostel aus ihren Löchern und schreien nach dem Gesetzgeber, Stichwort: Kennzeichnungspflicht böser Lebensmittel, Ampelskala mit "rot" für "extrem ungesund" und so weiter. Sollte vorsätzliche Kundenverarschung wie diese nicht verboten werden? Gegenfrage: Warum? Erstens ist Verarschung für Kunden inzwischen der Normalzustand (die sind das also gewöhnt); zweitens: Warum soll der Gesetzgeber die Leute aus der Verantwortung nehmen, weil sie im Matheunterricht immer gepennt haben? Und drittens: Muss man die Leute immer vor sich selbst schützen, ganz so, als könne sich nicht jeder Depp vorstellen, dass ein Produkt mit den Zutaten Maisgrieß, Pflanzenöl, Käsearoma (Käsepulver 6%, Geschmacksverstärker Mononatriumglutamat, Speisesalz, Aroma, Farbstoff Beta-Carotin) nicht wirklich figurfreundlich sein kann? Und selbst wenn da jetzt ein greller kontrastreicher Aufkleber draufprangte, etwa Der Verzehr dieses Produktes kann Sie in eine wabbelige, unansehnliche Qualle verwandeln
, würde deshalb irgendwer anfangen, beim Sportschaugucken rohes Gemüse zu knabbern, Selleriestangen oder so?
Ich für mein Teil werde aber - ohne dass ich einen Gesetzgeber brauche - Produkte von jenen Herstellern grundsätzlich ignorieren, die mich mit solchen Zahlenspielchen verscheißern wollen und mir damit die mathematische Intelligenz eines Spulwurms unterstellen. Da komme ich mir einfach beleidigt vor, okay, liebe Lebensmittelindustrie?
Eure Ingeborg