Das Fernsehen kann gar nicht besser sein

22. April 2009, 12:49 Uhr

Kategorie: Kultur

Autor:
Ferdinand Schratmannsdörffer

Liebe Freunde!

Nur wenige Ansichten zu den Dingen zwischen Himmel und Hölle genießen einen so breiten Konsens wie die Behauptung, dass im Fernsehen, zumal im deutschen, überwiegend Mist läuft. Und weil das alles so grottenschlecht ist, hockt der Deutsche jeden Tag dreieinhalb Stunden vor der Glotze, um das auch gewissenhaft zu kontrollieren. Ich für mein Teil sehe im Tagesdurchschnitt null Minuten fern.

Ja, ich habe ein Gerät, ich zahle auch GEZ-Gebühren für Musikantenstadl und Traumschiff. Denn alle zwei Jahre, zur Fußball-WM oder -EM, brauche ich das Ding denn doch hin und wieder. Seit dem Endspiel Deutschland gegen Spanien habe ich meinen Fernseher allerdings nicht mehr eingeschaltet, außer zum Schauen einer DVD natürlich. Wenn ich dann aus anderen Medien erfahre, dass ein Reich-Ranicki sich lautstark über den ganzen Blödsinn echauffiert, bin ich ein wenig erstaunt: Denn wie könnte das Fernsehen überhaupt besser sein?

Gar nicht. Frei nach Leibniz ist unser TV-Programm das beste aller möglichen TV-Programme, nicht weil es gut wäre, sondern weil es einfach unmöglich ist, Dutzende von Sendern rund um die Uhr mit Qualität zu versorgen, vor allem, wenn diese Qualität nichts kosten darf. Das hat ja früher, in den 70er Jahren, schon mit zwei Hauptprogrammen nicht geklappt. Die meiste Zeit war nämlich das hier zu sehen:

Unterbrochen wurde das vielleicht am Vormittag vom Schulfernsehen, wenn ein netter Onkel im "Telekolleg Mathematik" den Leuten die Integralrechnung nahezubringen versuchte:

Irgendwann am späten Nachmittag ging es dann mit der Kinderstunde oder belangloser Resteverwertung weiter, nach ein paar topaktuellen Vorabendserien ("Väter der Klamotte", "Western von gestern") kamen die Nachrichten und danach entweder ein ebenso topaktueller Film (Edgar Wallace) oder ein "sozialkritisches Fernsehspiel", der sogenannte "Problemfilm" über Suff, Arbeitslosigkeit, Jugendkriminalität und andere lustige Sachen. Wenn es dem Bayerischen Rundfunk zu homosexuell wurde, klinkte er sich aus dem ARD-Programm aus und zeigte seinen Zuschauern lieber etwas Keuscheres. Nach den Spätnachrichten um 23 Uhr war dann schnell Sendeschluss, und meist hatten wir schon vor Mitternacht unser geliebtes Testbild wieder. Für die nächsten sechzehn Stunden.

Am nächsten Morgen gab es auf der Arbeit eigentlich täglich Bürogespräche wie:
A: "Gestern war mal wieder nichts im Fernsehen."
B: "Das ist aber auch wirklich wahr! Heute abend ist auch nichts drin."
A: "Immer nur Wiederholungen!"
B: "Der neue Mist ist aber auch nicht besser."

Bis ein halbwegs populärer Kino-Hit mal seinen Weg auf den Bildschirm fand, verging in der Regel ein gutes Jahrzehnt, und dabei gab es damals noch kein Video. Wer also 1964 James Bond in "Goldfinger" verpasst hatte, musste gefälligst 20 Jahre warten, bis der Film mal - dann als Sensation gefeiert - seinen Weg zwischen die noch reichlich und gern ausgestrahlten Ablenkungsplotten aus der Nazizeit fand, Stichwort: "Schwungvolle Liebeskomödie mit beliebten Alt-Stars!"

Aber zwei- bis dreimal im Jahr gab es feste Höhepunkte, denen die ganze Nation entgegen fieberte. Damit meine ich nicht unbedingt die "Peter Alexander Show", bei der bis zu 71 Prozent der Deutschen vor dem Fernseher saßen. Ja, das ist richtig, wir reden nicht, wie heute, von 71% relativem Marktanteil, wir reden von 71 Prozent aller Bundesbürger. Das heißt: Jeder, der nicht arbeiten musste oder im Krankenhaus lag oder auf Auslandsreise war, sah sich das an, und zwar wirklich jeder. Der andere Sender konnte dann genauso gut wieder das Testbild zeigen.

Manches war damals in den Siebzigern tatsächlich besser: Ein großer Humorist wie Loriot konnte es sich leisten, jedes Jahr nur eine Dreiviertelstunde zu produzieren. Das war dann aber auch von vorne bis hinten erstklassiges Material. Wenn heute ein Programmdirektor ein komisches Talent auftut, heißt es: "Das ist ja recht amüsant, was Sie da machen, das gibt ne coole Late Nite. Also produzieren Sie mir von dem Zeug doch mal vier Folgen à eine Stunde pro Woche." Und das kann auf Dauer nicht witzig sein. Im schlimmsten Fall ist das hoffnungsfrohe Talent nach ein, zwei Jahren verheizt (und ich meine jetzt nicht Daniel Küblböck).

Ich habe keine Ahnung, wie viele Sender inzwischen ein 24-Stunden-Vollprogramm ausstrahlen. Ich will's auch gar nicht wissen. Selbst wenn wir die Wiederholungen in der Nacht nicht berücksichtigen, ist das immer noch eine Menge Sendezeit, die da gefüllt werden muss. Wie sollte das anders gehen als mit Blech? Es gibt da gewisse Wellenbewegungen, welche Sorte Blech gerade besonders populär ist: mal die Spielshows, dann die Talkrunden, mal die endlos-Soaps, dann wieder Quiz oder "Reality TV" - was auch immer. Wie kann man sich ernsthaft darüber wundern, dass das meiste davon Bockmist ist? Was erwartet Marcel Reich-Ranicki eigentlich, wenn er eine Veranstaltung besucht, auf der Atze Schröder auftritt?

Das Fernsehen kann also gar nicht besser sein, und es ist gut, dass es so schlecht ist. Ich werde schließlich nicht gezwungen, täglich dreieinhalb Stunden meines Lebens damit zu vernichten. Ich habe Zeit für schönere Dinge. Wenn es tatsächlich einmal etwas Gutes gibt, etwa eine gut gemachte Krimiserie, schaue ich mir das lieber auf DVD an, statt mich alle zehn Minuten mit "Produktinformationen" nerven zu lassen. Ich brauche auch keine Spielfilme, die in der dramatischsten oder komischsten Szene mit Lauftexten wie "Die nachfolgenden Sendungen verschieben sich um etwa 5 Sekunden" verunziert werden. Sollte ich einmal ein Skandälchen verpassen, wie den Eva-Herman-Rausschmiss bei Kerner, stellt es schon jemand bei youtube rein, darauf ist Verlass. Ich brauche meine Glotzkiste frühestens im Sommer 2010 wieder. Und ich hoffe, dass bis dahin der eine oder andere Kommentator zum Aktenentstauben ins Archiv versetzt wurde. Denn die Fußballkommentare könnten wirklich besser sein.


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