Nach dem Amoklauf ist vor dem Amoklauf

26. Mai 2009, 15:18 Uhr

Kategorie: Gesellschaft, Internet, Politik

Autor:
Ferdinand Schratmannsdörffer

Inzwischen ist der Amoklauf von Winnenden aus den Nachrichten längst verschwunden. Aber immer noch rätseln die üblichen Experten, Politiker, Psychologen und Berufsbetroffenen: Wie können wir in Zukunft so etwas verhindern. Gute Idee. Klappt nur nicht. Denn viel ist den Leutchen seit den Tagen von Winnenden nicht eingefallen:

Der eine will die Ballerspiele verbieten, der andere die Waffengesetze nochmals verschärfen, ein dritter verlangt von Eltern die Dauerüberwachung ihrer Sprösslinge (das bringt Jungs mit postpubertärem Testosteron-Überschuss sicher auf friedliche Gedanken), und wieder andere erkennen plötzlich Paintball als ihren Feind. Ja, potztausend, irgendetwas wird sich doch wohl noch verbieten lassen!

Fangen wir bei den Ballerspielen an. Zweifelsohne sind sie nicht unbedingt erste Wahl, wenn es gilt, bei unkritischen Heranwachsenden Respekt vor der lebenden Kreatur zu fördern. Andererseits: Deutschland hat unter den westlichen Industrienationen ohnehin schon die restriktivsten Bestimmungen im Jugendmedienschutz.

Wenn aber unsere Nachbarländer wie Österreich, die Schweiz, die Niederlande und all die anderen in diesem Punkt um einiges liberaler sind als wir, warum haben dann ausgerechnet wir im europäischen Vergleich mit überdurchschnittlich vielen Amokläufern zu tun?

Aber gut, nehmen wir an, wir verbieten die Ballerspiele. In Ordnung. Weg damit! An mir soll es nicht liegen. Dann freuen sich die Raubkopierer mit ihren Uncut-Versionen aus Fernost oder Russland. Wenigstens ein Wirtschaftszweig, der in der Krise gefördert wird! Auf jeden Fall hätte ein konsequentes Totalverbot den einen Vorteil, dass nach dem nächsten Amoklauf nicht wieder die übliche nervtötende Leier angestimmt wird. Und man müsste sich einmal dem wahren Problem stellen:

Jeder Amokläufer ist ein Nachahmungstäter. Denn ein Amokläufer wird zum Medienstar. Er bekommt - vermutlich zum ersten Mal in seinem Leben - Aufmerksamkeit. Sein Name ist in aller Munde; der Bursche hat allen gezeigt, dass er nicht das kleine unscheinbare Würstchen ist, das man bei Langeweile den ganzen Tag verarschen kann.

Betroffen melden dieselben Medien, die jedes Detail aus dem Umfeld des Täters so breit wie nur möglich treten (natürlich immer nur zum allerredlichsten Zweck), dass es wenige Tage nach der Tat allein in NRW bereits 60 Trittbrettfahrer gegeben habe, die sich durch Ankündigung ähnlicher Taten wichtig tun wollten. Manches davon sei sogar ernstzunehmen.

Welch eine Überraschung! Wer keine Chance bei Deutschland sucht den Bohlen-Star hat, wer beim Schulsport immer als letzter ins Fußballteam gewählt wird und wer auf keine Fête eingeladen wird, der darf dank der erschöpfenden Berichterstattung in Funk und Fernsehen darauf hoffen, dass einmal, nur ein einziges Mal sein Name und sein Gesicht Interesse beanspruchen.

Deshalb: Die Täter müssen anonym bleiben!

Aber das ist natürlich eine völlig unrealistische Forderung, wenn der Spiegel diesem Arschloch eine Titelstory nebst Coverfoto widmet. Wer opfert schon freiwillig Auflage oder Quote? Andererseits, bei Selbstmorden geht es doch: Da gibt es einen breiten Konsens, darüber nicht oder nur sehr zurückhaltend zu berichten, weil die Gefahr der Nachahmung extrem groß ist (Werther-Effekt). Die meisten Medien halten sich sogar daran, mit den üblichen zu erwartenden Ausnahmen natürlich.

Also, liebe Politiker, dann verbietet ruhig die Ballerspiele, drangsaliert die Schützenvereine und Paintball-Sportler. Das ist in Ordnung, wenn's euer Gewissen beruhigt. Denn irgendwo da draußen sitzt jetzt schon der nächste, der das einfach nur supergeil fand, wie der Killer von Winnenden zum Antihelden hochstilisiert wurde. Und der auch mal gern einen Spiegel-Titel hätte.

Wir sehen uns dann in zwei, drei Jahren in … Woauchimmer.
Bis dann!


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