Verseuchung im Mathebuch

09. April 2009, 23:10 Uhr

Kategorie: Gesellschaft, Wissenschaft, Politik

Autor:
Ferdinand Schratmannsdörffer

Gestern kaufte sich meine Tochter ein Büchlein mit Trainingsaufgaben für das Mathematik-Abitur NRW. (Nein, keine Angst, jetzt wird nicht gerechnet!) Ich schlug es auf, und schon auf Seite 1 sprang mich die folgende Aufgabe an:

Durch einen Störfall in einem Atomkraftwerk ist ein Gebiet radioaktiv verseucht worden. Direkt nach der Störung durchgeführte Messungen haben eine Aktivität von 78000 Bq (Becquerel) pro Quadratmeter Boden ergeben. Nach 2 Jahren beträgt die Aktivität noch 74500 Bq.

Selbstverständlich doch! Wozu ist so ein Kernkraftwerk schon anders gut, als früher oder später in die Luft zu fliegen und ganze Bundesländer zu verwüsten? Mir ist ja egal, ob Sie persönlich für oder gegen Atomenergie sind, darum geht es auch nicht. Aber kann man die Propaganda diverser Lobbys nicht wenigstens aus Mathematikbüchern heraushalten? Es geht ja noch weiter:

Das kontaminierte Gebiet darf erst wieder betreten werden, wenn der zulässige Höchstwert für die Radioaktivität von 20000 Bq wieder unterschritten ist. Bestimmen Sie, nach welchem Zeitraum, gemessen ab dem Störfall, dies der Fall sein wird.

Ganz hervorragend, da fehlt ja wieder nichts: Jahrzehntelange Verseuchung! Auf zur nächsten Demo nach Gorleben! Aber wenn man schon Mathematiklernhilfen für Panikmache heranzieht, warum dann nicht auch mal für die andere Seite? Natürlich: Dann wäre das Atomlobby-Geschrei wieder groß, wenn es beispielsweise hieße:

Windkraftanlagen sind bekanntlich eine Plage. Nicht nur, dass sie weite Landstriche verschandeln, jährlich werden sie für Tausende von seltenen Vögeln, darunter etliche Seeadler, zur heimtückischen Todesfalle. Bestimmen Sie eine Funktion f(x), mit der sich berechnen lässt, wie viele potthässliche Vogelschredder noch aufgestellt werden müssen, bis der Seeadler ausgerottet ist.

Oder warum nehmen wir nicht die allseits beliebte katholische Kirche? Vorschlag:

Im ersten Quartal 2009 traten x Katholiken aus der Kirche aus. Vorausgesetzt, es handelt sich dabei um einen exponentiellen Zerfallsprozess: a) Bestimmen Sie die Halbwertszeit der katholischen Kirche und b) berechnen Sie, wann der Papst als letztes Mitglied beim Verlassen des Vatikans das Licht ausmacht.

In diesem Sinne:
Schönen Karfreitag!


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