Jeder ist ein Rezensent!

09. Mai 2009, 15:52 Uhr

Kategorie: Kultur

Autorin:
Gina Lattuada

Wie man auf meiner Profilseite leicht sehen kann, lese ich ja schon mal ganz gern einen guten spannenden Thriller oder Krimi. Auf der Suche nach guten Tipps klicke ich mich gelegentlich durch diverse Kundenrezensionen bei Amazon. Damit man mich jetzt nicht missversteht: Es ist ja schön, dass dort jeder seine Meinung schreiben kann. Das Problem ist nur: Jeder, der mit Mühe ein Buch von einer Kartoffel unterscheiden kann, sieht sich bemüßígt, seinen mitunter peinlich unqualifizierten Bockmist dort abzusondern.

Viele Kundenrezensionen sind eben nicht so furchtbar oft "hilfreich", und das darf man ja schließlich ankreuzen und kommentieren und den Kommentar dann auch wieder bewerten und kommentieren und so weiter. Klasse Sache, es kommt nur wenig Gescheites dabei heraus. Zu meinen Favoriten zählen die Typen, die bei der Inhaltsangabe jede überraschende Wendung ausplaudern und dabei auch gleich den Täter verraten. Und das ohne Vorwarnung. Sicher sehr verkaufsfördernd, wenn man zuerst die Auflösung rausposaunt und dann fünf Sternchen gibt. Apropos Sternchen: Wie man diese vorgegebene 5-Stufen-Skala verwendet, ist auch längst nicht jedem vertraut. Da schreibt einer:

Anmerken muss ich, dass die Charaktere nur oberflächlich beschrieben worden sind. Es fehlt ihnen einfach an Tiefe, denn z.B. auf die Psyche des/der Täter(s) ging der Autor überhaupt nicht ein. Auch die Frage, was tatsächlich mit den Opfern geschehen ist, bleibt offen, das muss der Leser schon selbst seiner Fantasie überlassen. Die Spannung nimmt, je mehr man dem Ende nahe kommt, immer mehr ab und als der Fall schon gänzlich gelöst scheint, setzt der Autor leider noch ein äußerst unglaubwürdiges Ende dran. Das hätte er sich sparen können.

Hört sich nach einem ziemlichen Scheißbuch an, finden Sie nicht? Was gibt also unser Rezensent? Vier Sterne! Hä? Noch besser: Im nächsten Absatz kommt er zu dem Fazit:

Sehr fesselnd, viel Tempo und Nervenkitzel. Empfehlenswert.

Aha. Dann ist ja alles klar. In diesem Fall weiß ich aber wenigstens noch, dass ich hier reinen Gewissens den "nicht hilfreich"-Button betätigen kann. Zu einer viel klareren Aussage kommt dagegen eine sich selbst so bezeichnende "Thriller&Verschwörungs Vernatikerin" [sic!]. Sie schreibt (Rechtschreibung originalgetreu):

Leider wusste ich teilweise garnicht wer was sagte oder wer nun wer ist.... Auch in der Auflösung habe ich es nicht verstanden und die Charaktere nicht auseinander halten können... Vielleicht muss man das Buch 2Mal lesen um es richtig verstehen zu können!...

Oder auch zehn- oder zwanzigmal. Das ist insoweit ein "hilfreicher" Kommentar, als er viel über die Qualifikation der Autorin aussagt (was wohl in der Familie liegt):

Meine Schwester hat es Zeitgleich gelesen und bestätigt hier voll und ganz meine Meinung...

Dann geht's ja. Nun habe ich also inzwischen fünf Dutzend Kundenrezensionen gelesen und weiß immer noch nicht viel mehr als zuvor. Okay, okay, ich kann von Laien-Rezensenten kein Profi-Niveau erwarten und weiß den guten Willen auch zu schätzen, und bei manchen höchstprofessionellen Schwafel-Rezensionen in den deutschen Bildungsbürger-Feuilletons weiß man in der Regel hinterher auch nur, wie gebildet der Rezensent ist, nicht aber, ob es sich lohnt, für Buch oder Film Geld auszugeben. Aber zurück zu den Amateuren. Mein bisheriger Favorit ist diese großartige, feinfühlige Besprechung des Comics "Asterix und Kleopatra":

Auf ihrem Raubzug durch Kleinasien und Nordafrika greift die römische Soldateska nach Ägypten. Verzweifelt versucht Kleopatra den von römischen Schergen geplanten Völkermord an ihren Untertanen zu verhindern. Dieser historische Konflikt wird im Asterix-Comic auf einen läppischen Bauwettbewerb verkürzt, bei dem die Gallier helfen. Die echten Gallier jener Tage waren jedoch woanders. Sie wurden samt Frauen, Kindern und Babys zur Freude eines verrohten Pöbels den Löwen im Kollosseum zum Fraß vorgeworfen. (1 Stern)

Eins muss man diesem Rezensenten lassen: Er hat Humor! Auf so was müsste ein Satiriker erst mal kommen. Was nun meine Krimisuche angeht, so bin ich immer noch nicht viel weitergekommen. Im Grunde bekommt ja bei Amazon alles irgendwie dreieinhalb bis viereinhalb Sterne, außer vielleicht bei ganz kontroversen Titeln oder echtem Stinkkäse. Schon über 600-Tiefstwertungen für Frau Roches Bestseller, das ist schon eine Leistung. Wobei man sich natürlich fragt, was jemanden bewegt, die etwa sechshundertvierunddreißigste Ein-Stern-Rezension zu verzapfen und alles zuvor Gesagte noch mal wiederzukäuen.

Inzwischen ignoriere ich übrigens die allermeisten Rezensionen mit fünf Sternen (kritiklose Lobhudler der Sorte "superspannend, das beste Buch wo gibt") und einem Stern (notorische Nörgler, die gerade bei anspruchsvolleren Objekten meist hoffnungslos überfordert sind oder die einfach nur den Durchschnitt senken wollen). Aber irgendwelche Krimis werde ich mir wohl oder übel trotzdem bestellen müssen, denn so ganz ohne Lesestoff komme ich kaum über den bald anstehenden Urlaub.


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