Die Markus-Akte (5)

Guten Tag!

Falls Sie zum ersten Mal auf meine Fortsetzungsreihe "Die Markus Akte" stoßen, lesen Sie doch bitte zunächst den Einführungstext. Vielen Dank.
Heute erfahren wir unter anderem, wie man die Fläche eines Dreiecks berechnet.

8. Klasse, Realschule.
Markus hat ein neues Mathe-Thema: Wie berechnet man den Flächeninhalt eines Dreiecks?
- "Indem man alle drei Seiten miteinander malnehmen tut."

In der Chandler-Lektüre ist er nach sieben Wochen schon bis auf Seite 144 vorgedrungen. Den Faden hat er natürlich längst verloren. Wenn ich ihn bitte, den Inhalt wiederzugeben, kommt nur solches Zeug wie:
- "Ja und der fährt dann zu Mr. Sowieso und die reden und dann fährt der zu Mr. Dingsbums und die reden dann auch und dann redet er mit Mrs. Blablabla und ..."
Ich sage, dass das doch nur reine Äußerlichkeiten sind und nichts mit dem eigentlichen Inhalt zu tun haben, also frage ich, wie denn nun bei diese Dialoge die Handlung voranbringen?
- "Ja, da weiß ich nicht mehr, wenn ich so zehn Seiten gelesen habe, was da auf der ersten stand."

Diktat. Ich nehme seinen Schmierblock und ziehe mit dem Kuli auf der linken Seite eine Linie: den Rand eben. Markus war geschockt!
- "Ja, aber der Rand ist doch normalerweise rechts! Und die Linie ist so krumm! Das sieht so unordentlich aus!"
(Ich hatte den Frevel begangen, auf einem Blatt Schmierpapier einen Strich ohne Lineal zu ziehen.)

Nächste Stunde, nächstes Diktat, nächster Rand: Als er schon wieder anfängt, auf Schmierzetteln Rand mit Lineal ziehen zu wollen, schreibe ich ihm auf, dass wir für den Text exakt 3,785 cm Rand brauchen. Er sieht mich an, überlegt eine Weile; dann kommt ihm die Frage:
- "Ist das jetzt Verarschung?"
- "Nein, besorg Dir gefälligst Präzisionsinstrumente!"

Eine Woche später: Nach zwei Monaten Chandler-Lektüre ist Markus bis auf Seite 180 vorgedrungen. Macht 90 Seiten pro Monat, ergo drei am Tag. Es sagt, das ist das Äußerste, was ihm zuzumuten sei. Also, mehr ginge einfach nicht. (Und der Rand bei seinem jüngsten Aufsatz war tatsächlich einen Hauch weniger breit als 3,8 cm.)

Die Restlektüre vom Chandler kann er sich jetzt sparen. Nun hat er mir wieder eine Inhaltsangabe zugemutet, in der rein gar nichts stimmte: Personen wurden ständig verwechselt, der ganze Dialog war missverstanden, selbst der Ort der Handlung völlig schleierhaft, kurz: Ich sagte ihm, dass wir's einfach vergessen. Seiner Mutter riet ich dringend, die beiden anderen von mir zur Lektüre vorgesehenen Bücher zu verschenken; und außerdem machte ich ihr klar, dass ihr Sohn ein kleines Problem hat, wenn er demnächst für die Schule ebenfalls ganze Bücher lesen soll. Markus (mit Panik in den Augen): "Müssen wir da etwa das Buch kaufen und auch noch lesen?" Nun ja, bin mal gespannt, wie die Deutschlehrerin auf solch sachkundige Aussagen reagiert wie: "Ja, mir reicht das aber, wenn ich am Tag zwei Seiten lesen tu!" Oder: "Ich fänd das Buch auch langweilig, wenn ich das verstehen tät!"

To be continued ...
Versäumen Sie nicht, wenn es in der nächsten Woche heißt:
- Markus gibt nicht auf
- Markus bildet phantasievolle Passiv-Sätze