Die Markus-Akte (9)

Guten Tag!

Falls Sie zum ersten Mal auf meine Fortsetzungsreihe "Die Markus Akte" stoßen, lesen Sie doch bitte zunächst den Einführungstext. Vielen Dank.
Heute erfahren wir unter anderem, was ein Kannibale ist.

8. Klasse, Realschule.
Markus und seine Klasse lesen nun also Trip von Hans-Georg Noack, ein Jugendbuch über Drogenkonsum. Ich habe es jetzt auch gelesen, und dazu muss ich erst mal was sagen. Es war unterirdisch. Selten ist mir eine derart naive Beschreibung der Heroin-Abhängigkeit untergekommen. Von Beschaffungskriminalität und Babystrich hat Noack ganz offensichtlich noch nie was gehört. Auch das soziale Umfeld der hochgradig Süchtigen ist wunderbar geordnet. Und das Ende! Man erspare mir die Details!

Die Charaktere sind leblos und unplastisch, denn Noack hat keine Ahnung von der Jugendkultur um 1970, und er weiß auch nicht, wie Jugendliche reden. Bei den kreuzbiederen Dialogen höre ich die Schreibmaschine nur so rattern. Das schlimmste Schimpfwort in dem ganzen Buch ist Schwein, einmal bereichert um ein widerlich. (Na klar, das ist ein Jugendbuch, da muss man sprachlich sauber sein!) Keimfrei und ohne jede Poesie ist die Beschreibung der ersten pubertären Liebeserfahrungen. Über ein ich machte jetzt viel mit Monika zusammen kommt Noack nicht hinaus. Kurz: ein Schrottbuch sondergleichen.

Wie sieht Markus das?
- Ja, aber das ist doch viel spannender als wie der Krimi da. (Gemeint war mein gescheiterter Lektüreversuch mit "Die kleine Schwester" von Raymond Chandler.)
Daraufhin sage ich nur, ich hätte keine Lust, diese extrem unterschiedlichen Bücher miteinander zu vergleichen. (Mit Markus über literarische Feinheiten diskutieren? Haha, dazu ist mein Leben nun wirklich zu kurz!)

Da aber ein mit mir gut befreundeter Polizist Drogenaufklärung an Schulen macht, erdreiste ich mich, Markus vorzuschlagen, da doch mal einen Kontakt herzustellen. Passt ja irgendwie zum Thema, und Noack leistet jedenfalls nichts mit seinem autoritären Kackbuch. Ergo fragte ich nach der Lehrerin, aber Markus weiß noch nicht mal, wie deren Name geschrieben wird.

Nun hat Markus ja zu Weihnachten auf meinen Vorschlag hin ein paar Bücher von der Leseliste aus seinem Deutschbuch geschenkt bekommen. Dies dient der Verbesserung seines miserablen Textverständnisses. Nach meinen Erfahrungen mit Chandler möchte ich das Programm eigentlich nicht weiter verfolgen, aber Markus ist nun der Meinung, die Bücher müssen jetzt auch gelesen werden, weil das sonst ja Geldverschwendung sei. Also nehmen wir Robinson Crusoe von Daniel Defoe. In der Erwartung, dass Markus beim Lesen sowieso wieder nichts kapiert, erzähle ich schon mal den Inhalt und komme schließlich bei der Stelle an, wo Robinson auf die Kannibalen trifft. Markus:
- Hä? Was sind denn Kannibalen?
- Das sind Menschenfresser.
- Hä? Tiere oder was?
- Nein, Menschenfresser sind Menschen, die Menschen fressen, auch Kannibalen genannt.
- So was gibt's?

Also versuchen wir es mit etwas anderem. Ich schlage Ärger im Bellona Club von Dorothy Sayers auf und bitte ihn, die erste Seite zu lesen, ungefähr bis Was trinken Sie? (Zum besseren Verständnis habe ich den Text eingescannt):

Als Markus mit Lesen fertig ist, frage ich:
- Alles verstanden?
- Äh, äh, was ist Ormsby?
- Ein Name, was auch sonst? Der schnarcht ja auch!
- Könnte aber auch ein Tier sein!
- Nächste Frage!
- Was ist ein Ohrensessel?
Ich versuche erst, es zu erklären, und als das nichts fruchtet, mache eine Zeichnung. (Bringt aber auch nicht viel.)
- Nächste Frage!
- Was ist Evening Banner? Ist Morning Post die Post? (Und so weiter.)
Und dann kam meine Frage:
- Wo spielt die Szene überhaupt?
- Ja, in der Leichenhalle!
- Okay, lies es nicht. Du wirst nichts verstehen.
- Ach?!?

To be continued ...
Versäumen Sie nicht, wenn es in der nächsten Woche heißt:
- Markus schließt das Schuljahr ab
- Markus erwägt, ein Buch zu schreiben