Autor:
Giovanni Cortese
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Dieser Text ist Teil meiner Reihe mit 100 bedeutsamen Werken der Filmgeschichte. Wenn Sie mehr dazu wissen möchten, lesen Sie bitte zunächst den kurzen Einführungstext; da erkläre ich etwas genauer, was das hier soll.
Alexander Newski (Александр Невский)
Historienepos, Sowjetunion 1938, Regie: Sergej Eisenstein (Co-Regie: Dmitri Wassiljew als Aufpasser von der Partei), Musik: Serge Prokofiev, mit Nikolai Tscherkassow, Nikolai Ochlopkow, Andrej Abrikossow, Dimitri Orlow, Wassili Nowikow, Warwara Massalitinowa, s/w
Intro: In den 1920er Jahren war Sergej Eisenstein neben Wsewolod Pudowkin der führende Filmemacher in der noch jungen Sowjetunion. Nach seinen erfolgreichen Propagandafilmen Streik
(1924) und Panzerkreuzer Potemkin
(1925) durfte er 1927 einen der beiden offiziellen Revolutions-Jubiläumsfilme inszenieren (Oktober
; den anderen - Die letzten Tage von Sankt Petersburg
- drehte Pudowkin). Danach begann für Eisenstein eine lange Kette von Enttäuschungen.
Der Versuch, in Amerika Fuß zu fassen, scheiterte: Sein bekanntestes Projekt aus dieser Zeit, ¡Que viva Mexico!
(1932), blieb unvollendet. Auch nach seiner Rückkehr in die Sowjetunion lief es nicht besser. Das Projekt Beshin lug
(1935) blieb ebenfalls unfertig liegen, sodass Eisensteins einstige Reputation dahingeschmolzen war. Als er für die Regie eines großen antideutschen Monumentalschinkens ins Gespräch kam, traute ihm die Führung nicht mehr recht über den Weg und stellte ihm mit Dmitri Wassiljew einen Co-Regisseur zur Seite, der dafür zu sorgen hatte, dass der Film hübsch linientreu blieb und nicht wieder alles aus dem Ruder lief.
Inhalt: Russland um 1240. Deutsche Kreuzritter überfallen das Land und terrorisieren das Volk. Alexander Newski (Tscherkassow, Foto), der sich in einer siegreichen Schlacht gegen die Schweden einen Namen gemacht hat, soll die Russen nun auch zum Sieg gegen die Deutschen führen. Am 5. April 1242 kommt es auf dem zugefrorenen Peipussee zur Entscheidungsschlacht, bei der die Kreuzritter restlos aufgerieben werden.
Filmhistorisch bedeutsam, weil: Eisensteins Film folgt nicht der vertrauten Hollywood-Dramaturgie. Eine komplizierte Handlung mit den üblichen künstlichen Verwicklungen und Intrigen gibt es nicht. Dieser Alexander steuert geradewegs auf seinen Triumph zu und ist dabei durch nichts zu beirren. Auf genau diese Vereinfachungen kam es an: Historische Parallelen zum Vorabend des Zweiten Weltkriegs sind nun wahrlich unübersehbar.
Und sie werden von Eisenstein auch nicht gerade dezent betont: Die deutschen Soldaten tragen zum Teil stilisierte Wehrmachtshelme (1240!), und der Anführer der deutschen Ritter hat verzierte Hakenkreuze auf der Kardinalsmütze. Ausführlich schwelgt der Film in den Gräueltaten der Deutschen, zeigt, wie sie Städte niederbrennen, morden und wehrlose Kleinkinder ins Feuer werfen.
Doch Alexander Newski
lässt sich nicht auf seine Rolle als antideutscher Propagandafilm reduzieren, und das liegt vor allem am Herzstück des Films: die Schlacht auf dem See. Die gut halbstündige Massen- und Actionsequenz ist mit einem guten Schuss Pathos gefilmt und bezieht auf dramatische Weise die gefrorene Landschaft ins Geschehen ein. Bis ins heutige Kino dient die virtuose Inszenierung als Vorbild für ähnliche Schlachtengemälde, nicht zuletzt bei Peter Jackson und der Herr der Ringe
-Trilogie.
So beeindruckend die Bilder für sich schon sind, ihre Wirkung wird noch potenziert durch Serge Prokofievs Soundtrack, der zu den besten Filmmusiken überhaupt zählt und bis heute tiefe Spuren in der Filmgeschichte hinterließ. Auf CD erhältlich ist entweder der komplette Score oder die vom Komponisten selbst für den Konzertsaal arrangierte Kantate. Eisenstein wusste, wie sehr die Musik seine Intentionen stützte, und richtete den Rhythmus seiner Inszenierung ganz nach Prokofievs Musik, nicht umgekehrt. Alexander Newski
ist deshalb schon als the first music video
bezeichnet worden (über das first
ließe sich trefflich streiten, aber das Prinzip ist richtig erkannt).
Abspann: Mit diesem Film, der ein Riesenerfolg wurde, war Eisensteins Ruf wiederhergestellt. In den 40er Jahren handelte er sich dann aber erneut Ärger ein, als er das Leben von Ivan dem Schrecklichen verfilmen sollte und dabei allzu viele Parallelen zur Terrorherrschaft Josef Stalins einflocht. 1948 starb er an einem Herzinfarkt.
Und der wahre Alexander Newski (der Nationalheilige)? Der wurde im Jahr 2008 bei einer TV-Abstimmung zum größten Russen aller Zeiten gewählt.
Die Ikone lebt.