Autor:
Giovanni Cortese
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Dieser Text ist Teil meiner Reihe mit 100 bedeutsamen Werken der Filmgeschichte. Wenn Sie mehr dazu wissen möchten, lesen Sie bitte zunächst den kurzen Einführungstext; da erkläre ich etwas genauer, was das hier soll.
(Komödie, USA 1923, Regie: Fred C. Newmeyer und Sam Taylor, mit Harold Lloyd, Mildred Davis, Bill Strother, s/w, stumm)
Inhalt: Harold Lloyd in der Rolle seines Lebens: Der schüchterne, etwas naive und leicht ungeschickte Junge vom Land sucht in der großen Stadt sein Glück. Denn er braucht schließlich Geld und Job, um seine Dorfschönheit (Davis) ehelichen zu können. Aus der Karriere wird allerdings nichts, und er muss sich im Kaufhaus als kleiner Verkäufer von rabiaten Kundinnen drangsalieren lassen. Da er sich durch ein Missverständnis auch noch mit einem übellaunigen Cop anlegt, ist er am Ende gezwungen, die Flucht nach, ähm, oben zu ergreifen und die Fassade eines Wolkenkratzers hinaufzuklettern.
Filmhistorisch bedeutsam, weil: Harold Lloyd war vorher schon ein Top-Star, aber die Szene am Wolkenkratzer schrieb Filmgeschichte und wurde zu Lloyds Markenzeichen. Er wiederholte die haarsträubenden Fast-Abstürze in zahlreichen weiteren Filmen bis in die Ton-Ära (zum Beispiel in "Feet First" von 1930). Die atemberaubende Artistik, mit der Lloyd in dieser viertelstündigen Schlusssequenz Komik und Dramatik verknüpft, gehört zweifelsohne zu den Sternstunden der Stummfilmzeit. Zuschauer mit Höhenangst sollten sich darauf einstellen, dass ihnen gelegentlich das Herz aussetzt.
Die Legende sagt, Lloyd habe diese Szene vollständig ohne Netz gedreht. Das ist unwahrscheinlich und lässt sich heute nicht mehr mit Sicherheit beweisen oder widerlegen. Tatsache ist aber erstens, dass zumindest einige Einstellungen (von oben oder in der Totalen) erkennbar ohne jede Absicherung entstanden, und zweitens, dass Lloyd alle halsbrecherischen Stunts selbst ausführte. Der hilflos am Zeiger der Uhr zappelnde Mensch wurde gelegentlich auch als Metapher auf die moderne Stressgesellschaft aufgefasst.
Natürlich lebt Lloyds berühmteste Komödie in erster Linie von ihrer spektakulären letzten Viertelstunde, die auch heute noch blendend unterhält (vor allem, wenn man sich vorstellt, wie das in einer heutigen Produktion ganz bequem am Trickcomputer zusammengebacken würde). Die Geschichte selbst ist nicht unbedingt ein Meilenstein an Originalität, aber sie wird mit Charme und Witz präsentiert und vor allem mit einem aufs i-Tüpfelchen perfekten Timing. Also: keine Angst vor Stummfilmen.