Autor:
Giovanni Cortese
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Dieser Text ist Teil meiner Reihe mit 100 bedeutsamen Werken der Filmgeschichte. Wenn Sie mehr dazu wissen möchten, lesen Sie bitte zunächst den kurzen Einführungstext; da erkläre ich etwas genauer, was das hier soll.
Boulevard der Dämmerung (Sunset Boulevard)
Melodram/Satire, USA 1950, Regie: Billy Wilder, Kamera: John F. Seitz, mit William Holden, Gloria Swanson, Erich von Stroheim, Nancy Olson, Fred Clark, Lloyd Gough, Jack Webb, Cecil B. De Mille, Hedda Hopper, Buster Keaton
Vorspann: Der gebürtige Österreicher Billy Wilder gehörte zu jenen Filmgrößen, die Europa vor und während der Naziherrschaft den Rücken gekehrt hatten und in Hollywood eine steile und lang anhaltende Karriere erlebten. Anders als Fritz Lang ging er später auch nicht wieder zurück. Seine beste Zeit hatte er in den 40er und 50er Jahren, als er etliche Klassiker hinwarf, zu deren individuellem Stempel oft ein gewisses Maß an Zynismus zählte, der sich mitunter als tiefschwarzer Humor äußerte. In Boulevard der Dämmerung
nahm er sein eigenes Arbeitsfeld aufs Korn.
Inhalt: Der erfolglose und abgebrannte Drehbuchautor Joe landet eines Tages auf der Flucht vor Gläubigern in der Villa der gealterten Ex-Stummfilmdiva Norma Desmond. Sie gibt sich der eher unbegründeten Vorstellung hin, dass es bis zu ihrem strahlenden Comeback nur noch eine Frage der Zeit sei. Ihr ehemaliger Regisseur arbeitet inzwischen als ihr Butler, und das ganze Anwesen ist von Verfall gezeichnet.
Joe bestärkt Norma in ihrem Irrglauben, wird sogar ihr Geliebter und soll ein Drehbuch anleiern. Mit der Zeit verliebt sich Joe jedoch in eine jüngere Frau. Norma bleibt das nicht verborgen, und so kommt es zum finalen Streit. Joe schenkt ihr reinen Wein ein, worauf sie ihm eine Kugel verpasst. Als ein Wochenschauteam kurz darauf ihre Verhaftung filmt, denkt die inzwischen völlig durchgeknallte Diva, Cecil B. De Mille sei aufgekreuzt, um die ersten Shots für ihr Comeback zu drehen (Foto).
Filmhistorisch bedeutsam, weil: Es mag nicht fair sein, ohne Spoiler Alarm in einer Inhaltsangabe die Pointe zu verraten. Doch zum einen macht der Film das zum Teil selbst, denn er beginnt mit einer Einstelluung auf Joe, der tot und mit dem Gesicht nach unten in Normas Swimming Pool treibt. Zum anderen ist die Schlüsselszene am Ende, wenn Norma die Treppe hinunterstolziert wie Cleopatra auf Koks, ohnehin so bekannt, dass es keinen Sinn ergibt, da um den heißen Brei zu reden.
Im Grunde ist die Handlung des Films der Stoff für ein Allerweltsmelodram, doch wie so oft ist es die Umsetzung, die dann den Klassiker gebiert. Und es kommt ebenfalls nicht selten vor, dass das Endergebnis nach einer Kette von Zufällen und bewussten Richtungsänderungen ganz anders aussieht als ursprünglich geplant.
Boulevard der Dämmerung
mag eine vom Film noir geprägte, bitterböse und auch treffende Satire auf Ruhm und Wahn sein, doch erst seine genialen Besetzungs-Coups machen ihn zum Kulftfilm. Norma-Darstellerin Gloria Swanson war dabei keinesfalls die erste Wahl gewesen, vorher hatten etliche andere Kolleginnen wie Mary Pickford entweder abgesagt oder sich als ungeeignet erwiesen.
Swanson war tatsächlich ein ehemaliger Stummfilmstar, und ihr Diener wird gespielt von dem berüchtigten Erich von Stroheim, dem wohl exzentrischsten Regisseur der 20er Jahre. Die beiden hatten auch wirklich einmal einen Film zusammen gedreht, Queen Kelly
von 1928, der allerdings Fragment blieb, als Star und Regisseur sich hoffnungslos verkrachten. Ausschnitte dieses Films sind in Boulevard der Dämmerung
zu sehen.
Während Gloria Swanson sich nach dem Aufkommen des Tonfilms aus dem Filmgeschäft zurückgezogen hatte und - anders als Norma - auch keine Ambitionen auf ein Comeback hegte, musste Stroheim sich jahrzehntelang als Nebendarsteller in meist zweit- bis drittklassigen Trivialfilmen durchschlagen. Zu den Ausnahmen zählen seine Auftritte als Offizier in Jean Renoirs Die große Illusion
(1937), als Feldmarschall Rommel in Billy Wilders Fünf Gräber bis Cairo
(1943) und in Boulevard der Dämmerung
.
Billy Wilder gelang es auch sonst, etliche (Ex-)Größen der Traumfabrik vor die Kamera zu locken, darunter den Komiker Buster Keaton, die Klaschreporterin Hedda Hopper und den nach wie vor im Zenit stehenden Cecil B. De Mille, den er für die Dreharbeiten auf dem Set seines Monumentalschinkens Samson und Delilah
besuchte.
Das alles gibt Boulevard der Dämmerung
eine enorme Insider-Authentizität. Gleichwohl ist ihm im Grundton eine gewisse Selbstgerechtigkeit nicht abzusprechen, wenn er selbst ein wenig das ausschlachtet, was er zu kritisieren vorgibt. Und ironischerweise erlebte Gloria Swanson durch diesen Film dann tatsächlich ein Comeback.