Autor:
Giovanni Cortese
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Dieser Text ist Teil meiner Reihe mit 100 bedeutsamen Werken der Filmgeschichte. Wenn Sie mehr dazu wissen möchten, lesen Sie bitte zunächst den kurzen Einführungstext; da erkläre ich etwas genauer, was das hier soll.
Das 1. Evangelium Matthäus (Il vangelo secondo Matteo)
Bibelfilm, Italien 1964, Regie: Pier Paolo Pasolini, mit Enrique Irazoqui
Intro: Okay, heute haben wir wieder einen echten Kracher für die Kids, denen bei Transformers
langweilig wird. Und die können sich das auch gleich reinziehen, denn im Karfreitagsprogramm darf seit etlichen Jahrzehnten Pasolinis Jesusfilm nicht fehlen.
Inhalt: Pasolini hält sich rein vordergündig streng an den Text des Matthäus-Evangeliums und erzählt ohne Ausschmückungen und Abschweifungen, wie Jesus vom Wanderprediger zum umjubelten Idol aufsteigt, sich mit den Falschen anlegt und dafür ans Kreuz genagelt wird. So weit ist das ja alles aus dem Religionsunterricht bekannt.
Filmhistorisch bedeutsam, weil: Aber Pasolini drehte keinen Bibelschinken nach dem Schema des üblichen Ausstattungskinos, wo die Ausstatter Millionen Dollar für Prunkbauten und Kostüme verheizen dürfen, Tausende Statisten durchs Bild laufen und alles hübsch bunt strahlt. In dieser Variante war Cecil B. De Mille mit Die zehn Gebote
(1956) der unübertroffene Meister, aber Pasolini verfolgt ganz andere Ziele.
Einen größeren Kontrast zu den amerikanischen Bibelfilmen ist kaum denkbar. Pasolini verzichtete auf Stars und verpflichtete ausschließlich Laiendarsteller (unter anderem seine Mutter). Vor der Kulisse der kargen süditalienischen Landschaften, die in Tonino Delli Collis strenger Schwarzweißfotografie archaisch und trostlos wirken, lässt er seinen Jesus nicht als sanftmütigen Hirten auftreten. In ihm steckt mehr der Geist eines protomarxistischen Revoluzzers, der beim in Elend und Krankheit darbenden Volk mehr Anklang findet, als das manchen Beobachtern recht ist.
Pasolinis Blick bleibt auf das Wesentliche konzentriert. Er darf den Inhalt der Episoden aus dem Neuen Testament als hinreichend bekannt voraussetzen, und entsprechend fragmentarisch wirkt oft seine Erzählweise, die mit Aussparungen und Ellipsen nicht spart. Oft lässt er Großaufnahmen sprechen, so gleich in der Eröffnungssequenz, als ein irritierter Josef vor der schwangeren Maria steht und sie doch mit arg gemischten Gefühlen anstarrt. In solchen Szenen hat sicherlich das große Vorbild Carl Theodor Dreyer seine Spuren hinterlassen.
Bemerkenswert ist auch der Einsatz der Musik. Neben der Originalmusik von Luis Enrique Bacalov (Django
) verwendet er geistliche Musik von Bach über Mozart bis Webern ebenso wie Blues, auch recycled er die Filmmusik Serge Prokofievs aus Sergej Eisensteins Monumentalfilm Alexander Newski
.
Weniger gut beraten war Pasolini, als er die Wunder der Bibel in etwas naiver Weise eins zu eins übernahm und ebenfalls in semidokumentarische Bilder fasste. Pasolini räumte dies später selbst ein und schalt sich für seinen ekelhaften Pietismus. Bekannt wurde auch eine Kritik, die seinen Film als den besten aller misslungenen Bibelfilme
bezeichnete. Netter Spruch, doch ein wenig streng, denn allein schon wegen seiner Originalität und formalen Kompromisslosigkeit sticht Pasolinis Matthäus-Evangelium unter den Bibelschinken qualitativ weit heraus, und noch mehr Revoluzzertum war in den 60er Jahren bei diesem Thema wohl kaum möglich.