Autor:
Giovanni Cortese
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Dieser Text ist Teil meiner Reihe mit 100 bedeutsamen Werken der Filmgeschichte. Wenn Sie mehr dazu wissen möchten, lesen Sie bitte zunächst den kurzen Einführungstext; da erkläre ich etwas genauer, was das hier soll.
Wilde Erdbeeren (Smultronstället)
Drama/Roadmovie, Schweden 1957, Regie: Ingmar Bergman, Musik: Erik Nordgren, mit Victor Sjõström, Ingrid Thulin, Bibi Andersson, Gunnar Björnstrand, Jullan Kindahl, Folke Sundquist, Max von Sydow, Gunnel Lindblom
Inhalt: Professor Isak Borg (Sjöström, links), mit 78 auch nicht mehr der Jüngste, soll zum 50. Jahrestag seiner Promotion an der Universität Lund geehrt werden. In der Nacht zuvor hat er einen Albtraum, der ihm in deutlichen Symbolbildern sein baldiges Ableben ankündigt. Daraufhin ändert er seinen Plan, nach Lund zu fliegen, um statt dessen mit dem Auto zu fahren und unterwegs wichtige Stationen seines Lebens zu besuchen.
Er wird begleitet von seiner Schwiegertochter Marianne (Thulin, rechts), die ihn nicht besonders mag und daraus auch keinen Hehl macht. Unterwegs dämmert es Borg, dass er es am Ende seines vordergründig erfolgreichen Lebens nur dazu gebracht hat, dass er überhaupt von allen für einen unleidlichen Stinkstiefel gehalten wird. Nur zu einer Gruppe junger Anhalter entwickelt er eine fast schon freundschaftliche Beziehung.
Als Marianne und er in Lund ankommen, lässt er die Ehrung noch über sich ergehen, hat aber auf der Reise eine offenbar tiefgreifende Wandlung erfahren. Ganz gegen seine Art unternimmt er einen (scheiternden) Versuch, mit seiner Haushälterin freundschaftlicher zu verkehren, anschließend hat er vielleicht (das bleibt offen) mehr Glück dabei, die angeknackste Ehe von Marianne und seinem Sohn Gunnar zu kitten.
Filmhistorisch bedeutsam, weil: Die Geschichte an sich hätte in weniger kompetenten Händen ein guter Stoff für ein sentimentales Rührstück sein können. Bei Bergman wird das zur messerscharfen Analyse eines pedantischen Charakters, der von seinem Recht, unglücklich zu sein, zeit seines Lebens regen Gebrauch machte. Die Erkenntnis dämmert ihm erst kurz vor seinem Tod, wo ihm neben seiner menschlichen Inkompetenz auch - in einem weiteren Traum - seine berufliche bewusst wird.
Neben den Traumsequenzen verwendet Bergman auch einige Rückblenden in die Jugend Borgs, die in ironischer Verfremdung von einer heilen Welt erzählen. Doch schon damals stellte Borg an andere Menschen offenbar so hohe Ansprüche, dass der Preis dafür bittere Einsamkeit war. Erst als ihm das am Vorabend seines Todes bewusst wird, beginnt er sich den Menschen zu öffnen und versöhnt sich schließlich sogar mit Marianne.
Diese verschiedenen Ebenen der Erzählung sind kunstvoll verflochten und verdichten sich schließlich zu bewegendem Kino, gerade weil Bergman sich die sonst üblichen manipulativen Methoden wie schmalzige Musik und tränenreiches Gesülze völlig spart (das geht natürlich nur, wenn man a) wirklich etwas zu erzählen hat und b) sein Publikum nicht für völlig merkbefreit hält). In der Hauptrolle brilliert Victor Sjöström, der in der Stummfilmzeit neben Mauritz Stiller Schwedens bedeutendster Regisseur war und später auch in Hollywood einige Meisterwerke drehte, beispielsweise The Wind
(1928) mit Lillian Gish.