Autor:
Giovanni Cortese
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Dieser Text ist Teil meiner Reihe mit 100 bedeutsamen Werken der Filmgeschichte. Wenn Sie mehr dazu wissen möchten, lesen Sie bitte zunächst den kurzen Einführungstext; da erkläre ich etwas genauer, was das hier soll.
Schießen Sie auf den Pianisten (Tirez sur le pianiste)
Krimi/Drama/Komödie, Frankreich 1960, Regie: François Truffaut, Kamera: Raoul Coutard, Musik: Georges Delerue, mit Charles Aznavour, Marie Dubois, Nicole Berger, Michèle Mercier, Albert Rémy
Inhalt: Einst war Charlie ein gefeierter Konzertpianist, - bis ihn der Selbstmord seiner Frau aus der Bahn warf. Nun klimpert er jeden Abend ohne jeden Anspruch in einer billigen Kaschemme vor sich hin. Sein reichlich unambitioniertes Leben gerät erneut durcheinander, als eines Tages sein Bruder auftaucht und Schutz vor zwei Gangstern sucht. Charlie versteckt ihn, doch am nächsten Tag werden er und die Kellnerin Lena von miesen Typen entführt …
Filmhistorisch bedeutsam, weil: Die Filmgeschichte ist voll von brillanten Debüts, doch erst beim zweiten Film zeigt sich, ob ein Regisseur mehr ist als eine geniale Eintagsfliege. François Truffaut hatte sich mit seinem Langfilm-Erstling Sie küssten und sie schlugen ihn
(1959) als einer der Trendsetter der Nouvelle Vague etabliert, und mit Schießen Sie auf den Pianisten
übertraf er sein vielgefeiertes Debüt sogar.
Die Romanvorlage war ein mittelprächtiger Thriller von David Goodis, an den man sich ohne Truffauts Film heute kaum noch erinnern würde. Tatsächlich nutzt Truffaut die vordergründige Krimihandlung nur als Aufhänger für eine Erzähltechnik, die - ähnlich wie Jean-Luc Godards Außer Atem
- mit der Tradition des etwas muffig gewordenen Kinos der Nachkriegszeit radikal brach.
Das zeigt sich vor allem durch ironische Bildgags: Als einer der Gangster bekundet, wenn er lüge, solle seine Mutter tot umfallen, folgt ein völlig unvermittelter Schnitt auf eine alte Frau, die augenblicklich aus den Latschen kippt. Und wenn Michèle Mercier sich vor Charles Aznavour entkleidet, bedeckt er ihre Brüste mit einem Laken und erinnert sie daran, dass so etwas im Kino nicht erlaubt sei (Foto).
Ähnlich wie Godard bezieht sich Truffaut also auf Vorbilder aus dem amerikanischen Film noir, ohne daraus einen faden Abklatsch zu fabrizieren. Er balanciert die an sich triviale Story selbstsicher aus zwischen Ulk und Melancholie, und dass es so gut funktioniert, ist keinesfalls nur der Regie geschuldet. Kameramann Coutard fängt die Geschichte in atmosphärisch genau komponierten Schwarzweißbildern ein, und die Musik von Georges Delerue spiegelt exakt Charlies Zerbrochenheit, der über den seelenlos und mechanisch heruntergeklimperten Noten am Ende zum Automaten geworden ist. Nicht zuletzt Charles Aznavour und Marie Dubois verdienen Lob für ihr vitales Spiel in den Hauptrollen.