Autor:
Giovanni Cortese
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Dieser Text ist Teil meiner Reihe mit 100 bedeutsamen Werken der Filmgeschichte. Wenn Sie mehr dazu wissen möchten, lesen Sie bitte zunächst den kurzen Einführungstext; da erkläre ich etwas genauer, was das hier soll.
(USA 1994, Regie: Quentin Tarantino, Buch: Quentin Tarantino und Roger Avary, mit John Travolta, Uma Thurman, Samuel L. Jackson, Bruce Willis, Ving Rhames, Harvey Keitel, Maria de Medeiros, Christopher Walken, Eric Stoltz, Patricia Arquette, Tim Roth, Amanda Plummer, Quentin Tarantino)
Intro: Seit diesem Film ist auch in Deutschland recht gut bekannt, wofür die eigentlich despektierliche Bezeichnung Pulp steht: für billigstes Papier und für die Literatur, die darauf gedruckt wird. Als Quentin Tarantino mit seinen Groschenheft-Geschichten
1994 in Cannes den Hauptpreis, die Goldene Palme, holte, war das insoweit ungewöhnlich, als dort traditionell eher Fein- und Schöngeistiges prämiert wird, also mehr die Sachen fürs Programmkino. Pulp Fiction
demonstriert dagegen souverän, was schon François Truffaut in Die amerikanische Nacht
behauptet: Einen Film kann man doch aus allem machen
, und man möchte hinzufügen: Einen guten sogar!
Auch aus Pulp.
Inhalt: Tarantinos Zweieinhalbstundenwerk mixt drei ineinander verschachtelte Episoden aus der Unterwelt von Los Angeles: Zwei zynische Killer (Travolta, Jackson) schießen aus Versehen in ihrem Auto jemandem den Kopf weg. Problem: Wer macht die Sauerei weg? Einer der Killer (Travolta) muss später auf das drogensüchtige Liebchen (Thurman) von Gangsterboss Marsellus (Rhames) aufpassen. Der wiederum ist sauer auf den Boxer Butch (Willis), der ihn bei einem geschobenen Kampf verschaukelt hat. Das alles fügt sich nach und nach zusammen, wobei das Drehbuch vornehmlich den Zufall bemüht und sich um die Wahrscheinlichkeit seiner Geschichte einen Dreck schert: echter Pulp eben.
Filmhistorisch bedeutsam, weil: Der Inhalt mag beabsichtigter Schund in Reinkultur sein, die Form ist es nicht. Tarantino erzählt nicht chronologisch, nicht einmal in langweiligen Rückblenden. Er beginnt mit einem Schnappschuss mittendrin (dem Überfall auf das Restaurant), erzählt dann in aller Ruhe Vor- wie Nachgeschichte, um ganz am Ende in erzählerisch virtuoser Manier zum Ausgangspunkt zurückzukehren.
Bis dahin forciert und drosselt Tarantino das Erzähltempo nach Belieben: Lange, scheinbar nichtssagende, aber pointierte Dialoge über Hamburger, Fußmassagen oder Kugelbäuche wechseln mit absurden und wunderbar blödsinnigen Action-Szenen und deftigen Gewaltausbrüchen. Dabei steht Tarantino, wie er selbst zugibt, tief in der Schuld mächtiger Vorbilder, zum Beispiel Krimi- und Westernautor Elmore Leonard. Der erlebte in der Folge von Pulp Fiction
selbst eine kleine Renaissance (Verfilmungen seiner Bücher waren zum Beispiel Out of Sight
, Schnappt Shorty!
und natürlich Tarantinos nächster Film, Jackie Brown
).
Natürlich verdankt Pulp Fiction
auch den Darstellern nicht gerade wenig. Tarantino hatte das Glück, sich in seiner nach Hollywood-Maßstäben Low-Budget-Produktion auf eine erstklassige Besetzung verlassen zu können, die praktisch zum Tariflohn arbeitete (also mehr oder weniger für lau), einfach nur, weil dieses Projekt schon im Vorfeld als heißeste Kiste Hollywoods gehandelt wurde. Der bis dahin nur noch als gescheiterter Schmalzkönig gehandelte John Travolta war in der Rolle des Killers perfekt gegen seinen Typ besetzt, was ihm ein glanzvolles Comeback nebst Oscarnominierung bescherte.
Abspann: Es blieb natürlich nicht aus, dass alle möglichen Trittbrettfahrer Tarantinos Erfolg zu wiederholen versuchten, auch in Deutschland. Doch kaum einer erkannte, dass Pulp Fiction
eben doch mehr ist als nur Pulp, und dass es nicht ausreicht, einfach ein paar schräge Typen eine Weile lang vulgäres Zeug labern zu lassen. Neben Robert Altmans Short Cuts
wurde Pulp Fiction
für eine ganze Weile zum meistbeklauten Film der 90er Jahre.