Autor:
Giovanni Cortese
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Dieser Text ist Teil meiner Reihe mit 100 bedeutsamen Werken der Filmgeschichte. Wenn Sie mehr dazu wissen möchten, lesen Sie bitte zunächst den kurzen Einführungstext; da erkläre ich etwas genauer, was das hier soll.
Belle de jour - Schöne des Tages
(Drama, Frankreich/Italien 1966, Regie: Luis Buñuel, Kamera: Sacha Vierny, mit Catherine Deneuve, Michel Piccoli, Pierre Clémenti, Jean Sorel, Geneviève Page)

Inhalt: Nach außen hin sieht die Ehe von Séverine und Pierre arg glücklich aus. Doch sexuell läuft ziemlich wenig zwischen den beiden. Nur in ihrer Phantasie lebt Séverine masochistische Phantasien aus. Als sie die Adresse von einem exklusiven Kleinbordell erfährt, lässt sie sich dort als Belle de jour - Schöne des Tages
einstellen (denn sie steht nur nachmittags von zwei bis fünf zur Verfügung). Anfangs ziert sie sich und ist ungeschickt, später findet sie mehr und mehr Gefallen an all den schrägen Vögeln mit ihren bizarren Vorlieben. Eine Weile geht alles glatt, doch dann meldet der junge Gangster Marcel allzu nachdrückliche Besitzansprüche auf die Schöne des Tages an, und alles läuft aus dem Ruder.
Filmhistorisch bedeutsam, weil: Eines der Lieblingsthemen von Luis Buñuel war der Blick hinter die gutbürgerliche Fassade aus Wohlanständigkeit und vordergründiger Harmonie. Séverine und Pierre sind rein äußerlich ein Bilderbuch-Ehepaar, doch es geht so züchtig zu, dass schon das Wort Bordell
unter den Eheleuten tabu ist und durch ein verschämtes in gewissen Häusern
umschrieben werden muss. Als Teilzeit-Hure erlebt die betont kühle Vorzeige-Gattin aus der besseren Gesellschaft, wie die respektierten Mitglieder ihrer Schicht gleich in mehrfacher Hinsicht die Hosen herunterlassen. Andererseits geht es im Puff mitunter auch ganz schön bürgerlich zu, etwa wenn die junge Tochter der Putzfrau im Beisein der Prostituierten ganz brav ihr gutes Zeugnis präsentiert.
Folgerichtig sind die Tagträume Séverines auch kein wirklicher Kontrast zum wahren Leben, und dementsprechend inszeniert Buñuel sie formal nicht anders als den Alltag. Am Ende vermengen sich beide Ebenen und münden in ein vieldeutiges Ende, das in der Filmkritik schon zahllose Interpretationen irgendwo zwischen schlüssig und abenteuerlich provozierte.
Angesichts der Entstehungsjahres seines Films konnte Luis Buñuel bei der Darstellung der erotischen Abläufe nicht sehr ins Detail gehen. Er belässt es deshalb bei Andeutungen, was der Geschichte aber eher nutzt als schadet. In einer wenige Sekunden langen Rückblende sieht man, wie Séverine als Kind von einem Erwachsenen sexuell belästigt wird. Damit ist alles über ihre spätere Gehemmtheit gesagt. Auch sonst erweist sich die Phantasie des Zuschauers stets als Komplize Buñuels: Was mag der Japaner in seinem Kästchen haben? Oder was treibt der Nekrophile unter dem Sarg?
Unter den Darstellern sticht Michel Piccoli in der kurzen aber dankbaren Rolle des intelligenten Zynikers heraus. Und Catherine Deneuve, die oft eine Aura kühler Unnahbarkeit umgab, wurde von wenigen Regisseuren so geschickt eingesetzt wie hier von Buñuel.