Autor:
Giovanni Cortese
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Dieser Text ist Teil meiner Reihe mit 100 bedeutsamen Werken der Filmgeschichte. Wenn Sie mehr dazu wissen möchten, lesen Sie bitte zunächst den kurzen Einführungstext; da erkläre ich etwas genauer, was das hier soll.
Nosferatu - Eine Symphonie des Grauens
(Horror, Deutschland 1921, Regie: Friedrich Wilhelm Murnau, mit Max Schreck, Gustav Von Wangenheim, Greta Schröder, Ruth Landshoff, Alexander Granach)
Intro: Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass ausgerechnet der wohl stilbildendste Horrorfilm der älteren Filmgeschichte im Kern ein Plagiat war. Das Klauen war Regisseur Murnau durchaus gewohnt. Schon hinter Der Januskopf
(1920) lässt sich unschwer die Vorlage Dr. Jekyll & Mr. Hyde
entdecken, und wer bei Der Bucklige und die Tänzerin
(1920) die Idee lieferte, ist ebenfalls unschwer zu erraten. Auf ein Plagiat mehr oder weniger kam es also nicht an, und so musste 1921 Bram Stokers Vampirroman Dracula
dran glauben. Man übernahm die Handlung mehr oder weniger 1:1 und tauschte lediglich ein paar Namen aus.
Inhalt: Immobilienmakler Hutter reist im Auftrag seines Chefs in die Karpaten, wo er das Schloss des Grafen Orlok kaufen soll. Schon auf der Hinreise verdichtet sich eine gewisse Ahnung, dass mit diesem Orlok etwas nicht stimmt. Schließlich entpuppt er sich als Blutsauger, der sich zu allem Überfluss in ein Foto von Hutters Verlobten verguckt. Prompt begibt er sich in einem Sarg auf die Reise, um auch deren schönen Hals auszusaugen.
Filmhistorisch bedeutsam, weil: Glücklicherweise beschränkte sich Murnau nicht darauf, die literarische Vorlage einfach nur abzukupfern. Sein Nosferatu hat einige markante individuelle Züge, die ihn von den Draculas dieser Welt deutlich abheben. Beispielsweise sind nicht seine Eckzähne verlängert, sondern zwei vordere Schneidezähne, und auch die Vollglatze wäre mit dem eher auf erotisch getrimmten Auftreten von Bela Lugosi oder Christopher Lee kaum vereinbar gewesen. Dass ihn stets ein Riesenrudel Ratten und eine Pestepidemie begleiten, war bei Stoker ebenfalls nicht vorgesehen. Obwohl also die Handlung zweifellos geklaut war, weist die kreative Kraft von Nosferatu
letzlich doch weit über ein primitives Plagiat hinaus.
Natürlich steht Murnau in der Tradition des Expressionismus, der damals der angesagte Stil des deutschen Kinos war. Im Gegensatz aber zur ganz und gar künstlichen Welt in Das Cabinet des Dr. Caligari
(1919/20) pflegt Murnau eine vergleichsweise naturalistischen Bildsprache. Dennoch: Sein geschickter Einsatz von Licht und Schatten, sowie die sorgsam kalkulierten Kameraperspektiven (zum Beispiel Untersicht) prägten für Jahrzehnte den Stil des Horrorkinos. Manche von Murnaus Tricks und Stilmitteln waren freilich schnell veraltet, so der allzu durchschaubare Einsatz von Negativbildern bei einer nächtlichen Kutschenfahrt oder die doch sehr schlichte Überblendung zu Nosferatus Ende. Doch diese Grobschlächtigkeiten trüben die visuelle Brillanz insgesamt kaum, sie tragen im Rückblick in gewisser Weise zum Charme des Films bei. Und welcher Gruselfilm sonst hat schon einen Hauptdarsteller, der ausgerechnet Schreck heißt?
Abspann: Natürlich ließ sich die Witwe Bram Stokers diesen dreisten Ideenklau nicht gefallen und versuchte, alle Kopien des Films vernichten zu lassen. Dies misslang glücklicherweise, und dank aufwendiger und kompetenter Restaurierung ist Nosferatu
heute wieder in voller Schönheit zu sehen. Es blieb nicht aus, dass Murnau nach Hollywood berufen wurde, wo er mit Sunrise
(1927) einen seiner besten Filme drehte, bevor ihn allzu früh im Jahr 1931 ein tödlicher Autounfall dahinraffte. Nosferatu
erwachte indes 1979 zu neuem Kinoleben, diesmal mit Klaus Kinski in der Hauptrolle; Regie führte Werner Herzog. Auch diese Version ist eindrucksvoll.