Autor:
Giovanni Cortese
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Dieser Text ist Teil meiner Reihe mit 100 bedeutsamen Werken der Filmgeschichte. Wenn Sie mehr dazu wissen möchten, lesen Sie bitte zunächst den kurzen Einführungstext; da erkläre ich etwas genauer, was das hier soll.
100 Filme: Frankensteins Braut (The Bride of Frankenstein)
Horror, USA 1935, Regie: James Whale, mit Boris Karloff, Colin Clive, Elsa Lanchester
Intro: Fortsetzungen sind nicht etwa eine Erfindung der gegenwärtigen Kino-(Un-)Kultur, obgleich natürlich gerade in den letzten zwanzig bis dreißig Jahren der Wildwuchs der Sequels und Prequels und Spin-Offs und Remakes usw etc geradezu groteske Ausmaße angenommen hat. Doch Aufgüsse zu allen Zeiten haben gemeinsam, dass sie meist nicht viel taugen. Vor zwei Wochen jedoch wurde mit Der Pate
bereits ein bahnbrechendes wie stilbildendes Werk vorgestellt, das zumindest einen ebenbürtigen zweiten Teil kennt. Heute soll sogar eine Fortsetzung selbst zu ihrem Recht kommen, weil sie nach allgemeiner Ansicht das ohnehin schon gelungene Original noch übertrifft.
Inhalt: Dr. Frankenstein kann aufatmen. Seine Idee, künstliches Leben aus Leichenteilen zu erschaffen, brachte ein unberechenbares Monster hervor, das in seinem Dorf alsbald Amok lief. Die Bürger trieben die Kreatur schließlich in eine Mühle, die sie anschließend filmwirksam abfackelten. Doch wie der zweite Teil zu berichten weiß, plumpste das Monster beim Einsturz des Gemäuers in einen darunter gelegenen Tümpel und überlebte. Es befreit sich, murkst sogleich jemanden ab und flüchtet in die Wälder. Dort lernt es einen blinden Einsiedler kennen, der ihm das Sprechen beibringt. Die beiden freunden sich an, und alles könnte Heile Welt sein.
Unterdessen wird jedoch Dr. Frankenstein von einem durchgeknallten Kollegen bedrängt, der sich ebenfalls mit künstlichem Leben beschäftigt und stolz seine Miniatur-Homunculi vorführt. Mit vereinten Kräften, so seine Vision, sollte es möglich sein, richtige Menschen zu erschaffen. Sein Ziel ist es, Frankensteins Monster eine knackige Braut zu spendieren.
Filmhistorisch bedeutsam, weil: Die Horrorfilmwelle der frühen 1930er Jahre brachte in rascher Folge einen Klassiker nach dem anderen hervor; vorgestellt wurden an dieser Stelle bereits Dr. Jeckyll und Mr. Hyde
(1931) sowie Freaks
(1932). Nicht zu vergessen sind natürlich Dracula
(1930), Der Unsichtbare
(1933), King Kong
(1933), Graf Zaroff - Genie des Bösen
(1932) und - natürlich - die beiden Frankenstein-Filme von James Whale.
1931 hatte Boris Karloff als Monster zum ersten Mal für Leinwandleichen gesorgt. Dabei trat er jedoch keinesfalls als brutaler Schlächter auf. Dass er durch ein Versehen des schusseligen Assistenten Fritz das Gehirn eines Triebmörders bekam, war für das Konzept sogar kontraproduktiv. Im weiteren Verlauf wird dieser Gedanke nämlich gar nicht weitergesponnen. Ganz im Gegenteil: Das Monster wird zum Sympathieträger. Es mordet nur, wenn es - wie von Fritz - gequält wird, oder aus purer Naivität, wenn es ein Kind ins Wasser wirft und sich wundert, dass es nicht so schön schwimmt wie die Blümchen.
Der zweite Teil spinnt diesen Gedanken konsequent weiter. Das Monster ist handzahm und friedlich, wenn man freundlich zu ihm ist. Der blinde Einsiedler schreckt als einziger Mensch nicht vor dem Furcht erregenden Äußeren zurück, und sofort freunden die beiden sich an. Für anderen dagegen ist das Monster ein Freak; etliche Morde geschehen nur deshalb, weil die Leute bei seinem Anblick unkontrolliert loskreischen (was dann etwas beleidigend wirkt).
Filmästhetisch steht Frankensteins Braut
ganz im Zeichen der Zeit, also starke Schwarzweiß-Kontraste mit viel Gewitter, dazu aber ein eher ungewöhnlich kräftiger Schuss Humor. Regisseur James Whale war mit seiner literarischen Vorlage, dem gleichnamigen Schauerroman (1818) von Mary Shelley, schon im ersten Teil ziemlich unbekümmert umgegangen. Er hatte lediglich die Idee adaptiert, sonst aber seine eigenen Vorstellungen verwirklicht. Diese waren eindeutig im deutschen Stummfilm verwurzelt, zumindest visuell. Mit der Schöpfungssequenz im Gewitter gelang ihm ein Meisterstück des frühen Horrorkinos, das er dann im zweiten Teil fast 1:1 kopierte.
Seine Fortsetzung hat nun mit Mary Shelley inhaltlich kaum noch etwas zu tun, dafür tritt die Dichterin höchstselbst auf. Eine reizvolle Rahmenhandlung zeigt sie, wie sie in einer düsteren Sturmnacht (wann sonst?) ihrem Mann und Lord Byron die Fortsetzung der Geschichte erzählt. Als besonderen Gag tritt ihre Darstellerin, Elsa Lanchester, am Ende selbst als Frankensteins Braut auf (eine der berühmtesten Doppelrollen überhaupt). Schon der kunstvolle Kantenschädel von Boris Karloff ist eine Ikone der Filmgeschichte, und Elsa Lanchesters Nofretete-Frisur war maskentechnisch ein ebenbürtiger Geniestreich. Auch wer den Film nicht kennt: Diese Visage hat jeder irgendwo schon mal gesehen.
Abspann: Natürlich war es mit diesem zweiten Teil, der ebenfalls ein Riesenerfolg wurde, nicht getan. 1939 folgte Frankensteins Sohn
, danach gab es noch eine lange Reihe von zunehmend schundiger werdenden B-Filmen, für die dann auch Boris Karloff nicht mehr zur Verfügung stand. Von den zahllosen anderen Adaptionen des Shelley-Romans erreichte keine einzige die Qualität von James Whales Filmen, auch wenn (oder vielmehr gerade weil) sie sich oft enger an die Vorlage hielten.