Autor:
Giovanni Cortese
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Dieser Text ist Teil meiner Reihe mit 100 bedeutsamen Werken der Filmgeschichte. Wenn Sie mehr dazu wissen möchten, lesen Sie bitte zunächst den kurzen Einführungstext; da erkläre ich etwas genauer, was das hier soll.
100 Filme: Die Marx Brothers im Krieg (Duck Soup)
Komödie, USA 1933, Regie: Leo McCarey, mit Groucho Marx, Harpo Marx, Chico Marx, Zeppo Marx, Margaret Dumont
Intro: Als Ende der 1920er Jahre der Ton- den Stummfilm ablöste, hatte das für einige Komiker weitreichende Folgen. Einige konnten sich mit der neuen Technik überhaupt nicht anfreunden (oder ihre Stimme klang bei der primitiven Aufnahmetechnik entsetzlich), zum Beispiel Buster Keaton oder Harry Langdon. Sie waren im Tonfilm praktisch abgemeldet. Andere assimilierten sich nahtlos (Laurel & Hardy, Harold Lloyd), und einigen wenigen bot der Ton überhaupt erst die Möglichkeit, ihren speziellen Humor auf die Leinwand zu bringen. Einer davon hieß W.C. Fields (Das ist geschenkt
, 1934), aber die größten Nutznießer waren sicherlich die Marx Brothers. Schon lange waren sie als Bühnenkomiker ein Hit, doch im Stummfilm hätte ihre Vorliebe für Wortspiele und kalauernde Beleidigungen kaum Wirkung entfalten können. Mit Cocoanuts
(1929) ging es dann gleich in die Vollen. Das beste Beispiel für ihren typischen Humor bietet indes der letzte der frühen Marx-Brothers-Filme, Die Marx Brothers im Krieg
von 1933.
Inhalt: Der europäische Kleinstaat Freedonia ist pleite. Die reiche Mrs Teasdale will zur Rettung noch einmal ein paar Scheinchen springen lassen, macht aber zur Bedingung, dass der zwielichtige Rufus T Firefly die Regierungsgeschäfte übernimmt. Der wiederum lässt sich durchaus zweimal bitten, willigt schließlich ein und verwandelt das Parlament in ein Irrenhaus. Der verfeindete Nachbarstaat Sylvania lässt ihn unterdessen von den beiden völlig unfähigen Spionen Chicolini und Pinky überwachen. Firefly weiß, dass ein Krieg das beste Mittel ist, von eigenem Misserfolg abzulenken, also provoziert er den sylvanischen Botschafter mit Beleidigungen, bis es keinen Ausweg mehr gibt.
Filmhistorisch bedeutsam, weil: Wenn die Rede von den frühen Filmen der Marx Brothers ist, fällt fast immer die Vokabel anarchisch; das ist so was wie ein Pawlowscher Reflex bei Filmhistorikern. Richtig daran ist, dass das Ziel ihres Humors oft genug die Obrigkeit war, Polizei und andere Staatsdiener und überhaupt die gute Gesellschaft, die besonders in Gestalt der pompösen Margaret Dumont als beschränkt und eitel vorgeführt wird. Daneben wuchert indes auch einfach der Spaß an der Freud, unbekümmertes Geblödel wechselt mit haarsträubenden Kalauern und harmlosem Ulk, um dann plötzlich unversehens wieder in schwärzeste Satire abzukippen.
Jeder der vier Marx Brothers spielte in allen Filmen stets einen gleichbleibenden Charakter. Groucho verkörperte mit schleichendem Gang, Riesenzigarre, übergroßem Anzug und aufgemaltem Schnurrbart den schmierigen Geschäftemacher, der seine Mutter für einen Fünfer verhökert hätte. Im Gegensatz dazu spielte Chico den Gelegenheitsarbeiter mit (neudeutsch:) Migrationshintergrund. Er verstand die meiste Zeit Bahnhof und lieferte sich mit Groucho unübersetzbare Kalauer-Gefechte. Harpo sprach nie ein Wort (obwohl er nicht wirklich stumm war) und machte sich mit Autohupen, Weckern und allerlei Gerümpel aus den unerschöpflichen Tiefen seiner Manteltaschen verständlich. Mit blonder Struwwelperücke und Lumpenkleidung gab er den Chaoten der Truppe. Für Zeppo, das jüngste Mitglied, blieb da nicht viel. Er spielte den Normalen unter lauter Durchgeknallten und durfte ein bisschen den Charmeur raushängen lassen, und das war's auch schon.
Die Handlung von Die Marx Brothers im Krieg
ist wenig mehr als ein dünner roter Faden, an dem eine Reihe von Sketchen und Musical-/Operetten-Nummern aufgehängt sind (denn Freedonia ist zweifellos eine Operettenmonarchie reinster Ausprägung). Das gipfelt in einer großen Showszene, in der das Parlament von Freedonia euphorisch den Krieg bejubelt, was nur zu sehr an die Bilder hutschwenkender Patrioten erinnert, die fröhlich lachend und singend in den Ersten Weltkrieg zogen, um dann an der Marne verheizt zu werden.
Das alles aber war im frühen Tonfilm insoweit nichts Besonderes, als da oft und gern ein Liedchen angestimmt wurde. Besonders waren und sind dagegen die Dialoge. Was hauptsächlich Groucho in nur 68 Minuten an Kalauern auffährt, hätte für drei Filme gereicht. Manches davon ist unübersetzbar, und wer der englischen Sprache mächtig ist, kann in der Internet Movie Database eine Auswahl der schönsten Dialog-Gags nachlesen. Aber auch für rein visuelle Gags ist Platz, etwa wenn Groucho und Harpo sich vor einem zerbrochenen Spiegel treffen, was mit Worten einfach nicht zu beschreiben ist.
Abspann: Der größte kommerzielle Erfolg der Marx Brothers war dieser Film nicht, dafür war er insgesamt zu schräg. Der von seinen undankbaren Rollen frustrierte Zeppo verließ danach die Truppe. Mit Die Marx Brothers in der Oper
(1935) gerieten die Marx Brothers unter die Fittiche des MGM-Produzenten Irving Thalberg, der dem oft bissigen Humor die Spitzen nahm, die Gesangseinlagen hochfuhr und - natürlich - eine obligatorische Liebesgeschichte hinzumischte. Das Ergebnis war zunächst trotz dieser Weichspülerei noch sehenswert, und gerade der Opernfilm enthält einige der besten Marx-Brothers-Szenen überhaupt.
Danach war die Luft raus, und Filme wie Die Marx Brothers im Kaufhaus
(1941) sind nur ein trauriger Abklatsch früherer Brillanz. Erst die parodistische Agentengeschichte Eine Nacht in Casablanca
(1946) ließ alte Qualitäten noch einmal durchscheinen. Nach Love Happy
(1949, mit einer noch gänzlich unbekannten Marilyn Monroe in einem Winz-Auftritt) war dann Schluss mit Kino, und Groucho wurde erfolgreicher Quizmaster. Der absurde Humor der besten Marx-Filme hinterließ tiefe Spuren in der Filmgeschichte, und vieles von Monty Python wäre ohne die Marxsche Vorarbeit kaum denkbar.