Autor:
Giovanni Cortese
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Dieser Text ist Teil meiner Reihe mit 100 bedeutsamen Werken der Filmgeschichte. Wenn Sie mehr dazu wissen möchten, lesen Sie bitte zunächst den kurzen Einführungstext; da erkläre ich etwas genauer, was das hier soll.
Melodram, Deutschland 1943, Regie: Helmut Käutner, Buch: Willy Clever und Helmut Käutner frei nach Motiven von Guy de Maupassant, mit Marianne Hoppe, Ferdinand Marian, Paul Dahlke, Siegfried Breuer, Elisabeth Flickenschildt, Helmut Käutner
Intro: Wie unpolitisch kann ein Film sein, der in totalitären Systemen entsteht? Kann er überhaupt unpolitisch sein, oder ist nicht allein diese Verweigerung am Ende auch schon wieder ein politisches Signal? Genau diese Fragen wurden schon diskutiert, wenn die Sprache auf Helmut Käutners Romanze in Moll
kommt.
Es ist sicher nicht richtig, dass dies - wie der französische Filmhistoriker Georges Sadoul behauptete - der einzige Film des Dritten Reiches von künstlerischem Wert sei. Aber er ist einer der ganz wenigen, die sich jeglicher Propaganda, auch unterschwelliger, entziehen konnten. Offener Protest war sowieso unmöglich, auch wenn Werke wie der Ufa-Jubiläumsfilm Münchhausen
(1942) von Josef von Baky oder Der Gasmann
(1941) von Carl Froelich sich in den Dialogen subversive Momente erlaubten, was den Propagandaminister Joseph Goebbels zur Weißglut trieb.
Subtile Regimekritik war also durchaus nicht unmöglich (obgleich sehr schwer und extrem gefährlich). Die meisten Filme indes transportierten brav den von Goebbels verordneten Zeitgeist, und dabei handelte es sich keinesfalls nur um die plumpe Parteipropaganda (die Goebbels hasste). Vielmehr wuchert der Naziungeist vor allem in scheinbar harmlosen Komödien, in Filmbiographien, in Melodramen, in Historienschinken und sogar in den zaghaften Versuchen des Zeichentricks. Irgendwie fanden Deutschtümelei, Blut- & Boden-Ideologie, Kriegsverherrlichung, Rassenhass oder Durchhalteparolen fast immer ihren Weg auf die Leinwände.
Aber Helmut Käutner hatte mit alledem einfach nichts am Hut. Schon seine Gottfried-Keller-Adaption Kleider machen Leute
entzieht sich völlig dem braunen Spuk. Der Trick war im Grunde simpel und kann kaum als Rebellion ausgelegt werden (wie einige es taten): Käutner flüchtete sich in Literaturverfilmungen und historische Sujets von rein privaten Belangen. In seinem Melodram Romanze in Moll
gelang dies besonders glücklich.
Inhalt: Paris um die Jahrhundertwende: Die adrette Madeleine ist mit einem freundlichen, aber stinklangweiligen Kleinbürger verheiratet. Eines Tages lernt sie vor einem Juweliergeschäft den aufdringlichen wie charmanten Komponisten Michael kennen, der ihr - einfach so - eine wertvolle Perlenkette schenkt. Sie will das Präsent nicht annehmen, aber Michael lässt nicht locker, und als er Madeleine auch noch eine Komposition widmet, kann sie ihm nicht mehr widerstehen und lässt sich auf eine Affäre ein.
Das Doppelleben funktioniert eine Weile lang gut, bis ausgerechnet der Vorgesetzte von Madeleines Mann durch einen Zufall Wind von der Sache bekommt. Er erpresst Madeleine, um sie sexuell gefügig zu machen. Die aber zeigt sich standhaft und nimmt, als es keinen Ausweg mehr gibt, Gift.
Filmhistorisch bedeutsam, weil: Es ist nicht allein so, dass Romanze in Moll
ein seltenes Beispiel dafür ist, dass man auch in höchst menschenverachtenden Systemen Filme von zumindest künstlerischer wie persönlicher Aufrichtigkeit hervorbringen kann. Ob man die nichtpolitische Haltung nun als Protest oder als Drückebergerei auslegt, spielt dabei gar keine Rolle: Das ist einfach eines der besten Melodramen überhaupt.
Sicher bleibt es nicht aus, dass über die Jahrzehnte hinweg die Machart ein bisschen Staub angesetzt hat. Dennoch überzeugen bis heute die ausgezeichneten Darstellerleistungen von Marianne Hoppe und Ferdinand Marian, denen die geschliffenen, oft humorvollen Dialoge dankbar die Bälle zuspielen. Die Fotografie besticht durch ihre unaufdringliche, bisweilen düstere Poesie. Käutner fängt die Atmosphäre des Pariser fin de siècle stilsicher ein (wenngleich Marians Akzent mehr an Wien denken lässt). Nicht zuletzt in Frankreich genoss der Film hohes Ansehen als gelungene Maupassant-Adaption. Der Stil ist auch insgesamt recht undeutsch
und erinnert mehr an französische Vorkriegsfilme etwa von Julien Duvivier oder Marcel Carné.
Abspann: Nicht allen, die an diesem Film beteiligt waren, gelang es immer so gut, sich von der Propaganda fernzuhalten. Das gilt besonders für Hauptdarsteller Ferdinand Marian. Ihm wurde seine Mitwirkung im Hetzfilm Jud Süß
(1940) von Veit Harlan zum Verhängnis. Obwohl er beteuerte, a) zur Mitarbeit gezwungen worden zu sein und b) seinen Schurken mit mehr Charme als erwünscht verkörpert zu haben (was definitiv stimmt), wurde er nach dem Krieg beruflich kaltgestellt. 1947 starb er, inzwischen dem Suff verfallen, an den Folgen eines Autounfalls.
Helmut Käutner dagegen blieb auch nach dem Krieg einer der meistbeschäftigten deutschen Regisseure, machte sogar einen kleinen Ausflug nach Hollywood und war gegen Ende seiner Karriere auch als Darsteller gefragt. Seine wohl bekannteste Rolle: 1975 spielte er den gealterten Volksschriftsteller Karl May.