Autor:
Giovanni Cortese
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Dieser Text ist Teil meiner Reihe mit 100 bedeutsamen Werken der Filmgeschichte. Wenn Sie mehr dazu wissen möchten, lesen Sie bitte zunächst den kurzen Einführungstext; da erkläre ich etwas genauer, was das hier soll.
Gesellschaftsporträt, USA 1993, Regie: Robert Altman, Musik: Mark Isham, mit Andie MacDowell, Jack Lemmon, Bruce Davison, Matthew Modine, Julianne Moore, Zane Cassidy, Tim Robbins, Fred Ward, Jennifer Jason Leigh, Chris Penn, Madeleine Stowe, Peter Gallagher, Lili Taylor, Lily Tomlin, Tom Waits, Robert Downey jr., Frances McDormand, Anne Archer, Lori Singer, Annie Ross, Lyle Lovett, Huey Lewis, Buck Henry
Inhalt: Die labyrintische Geschichte von einem Dutzend Menschen aus Los Angeles: Ein Polizist ist von der Kläff-Töle seiner Frau genervt. Eine Kellnerin fährt einen kleinen Jungen an; ein junger Arzt schätzt die Lage falsch ein und kann ihn nicht retten. Bei einem Angelausflug finden drei Naturburschen eine Frauenleiche, was sie aber nicht daran hindert, erst einmal das Wochenende zu genießen. Eine junge Mutter arbeitet während ihrer Haushaltsführung als Telefonsex-Souffleuse. Eine begabte Cellistin verfällt in Depressionen, was ihre Mutter, eine Barsängerin, einfach ignoriert, bis es zu spät ist. Ein genervter Liebhaber ruiniert systematisch die Wohnung seiner untreuen Gespielin. Und so weiter.
Filmgeschichtlich bedeutsam, weil: Neben Quentin Tarantinos Pulp Fiction
ist Robert Altmans Short Cuts
wahrscheinlich der einflussreichste Film der 90er Jahre, was die Erzähltechnik betrifft. Die Episoden, die sich in der Inhaltsangabe so zusammenhanglos anhören, sind immer wieder auf kunstvolle und originelle Weise verzahnt, wie bei einem riesigen Wollknäuel, dessen einzelne Fäden sich unerwartet verknoten und dann ebenso unerwartet wieder entwirren. Folgerichtig erzählt Altman seine Geschichten auch nicht nacheinander, sondern - siehe Filmtitel - in kurzen Häppchen. Mit der Zeit erscheint aus dem Bildermosaik das Gesamtbild einer modernen Metropole, sozusagen das große Ganze. Das macht Altman hier zwar weder zum ersten noch zum letzten Mal (siehe auch Nashville
(1975) oder Prêt-à-porter
(1995)), am überzeugendsten aber gelang es ihm in Short Cuts
.
Im Ton jongliert Altman virtuos mit allen Schattierungen zwischen todtraurig und saukomisch. Er beobachtet seine Alltagshelden (mehrheitlich Anti-Helden) wohl kaum als neutraler Chronist, aber er kann es sich leisten, auf den moralisch erhobenen Zeigefinger zu verzichten. Manche von Altmans Gestalten handeln erbärmlich und dabei doch wieder nur ganz durchschnittlich und erschreckend alltäglich wie alle und jeder. Charakterliches Versagen und Verantwortungslosigkeit allerorten, aber so ist das nun mal.
Ein besonders optimistisches Gesellschaftsbild zeichnet Altman also nicht gerade, aber das kommt nicht in Gestalt eines verbiesterten Grübelfilms daher; sein gut dreistündiges Werk hat keine Durchhänger und Aussetzer und fesselt über die gesamte Laufzeit - auch dank des stargespickten Ensembles, bei dem es schwer fällt, einzelne lobend herauszuheben. Aus diesem Grund erhielt Short Cuts
1994 einen Spezial-Golden-Globe für die ganze Besetzung. Altman selbst wurde unter anderem mit dem Goldenen Löwen in Venedig prämiert.