Autor:
Giovanni Cortese
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Dieser Text ist Teil meiner Reihe mit 100 bedeutsamen Werken der Filmgeschichte. Wenn Sie mehr dazu wissen möchten, lesen Sie bitte zunächst den kurzen Einführungstext; da erkläre ich etwas genauer, was das hier soll.
Monumentalfilm, Italien 1914, Regie: Giovanni Pastrone (als Piero Fosco), Buch: Giovanni Pastrone mit Zwischentiteln von Gabriele D'Annunzio, mit Lidia Quaranta, Carolina Catena, Bartolomeo Pagano, Gina Marangoni, Dante Testa, Umberto Mozzato, Emilio Vardannes
Vorspann: Von den ersten Filmvorführungen der Brüder Lumière 1895 an dauerte es etwa 20 Jahre, bis der etablierte Kulturbetrieb Film als Kunstform ernstzunehmen begann. Vorher waren die bewegten Bilder entweder nur Jahrmarktssensation oder später immerhin Vehikel für kurze und überwiegend anspruchslose Unterhaltung. Nur wenige Filme kamen bis 1910 auf eine Laufzeit von über 30 Minuten; zu den wenigen Ausnahmen zählen La vie et la passion de Jésus Christ
(Frankreich 1903) von Ferdinand Zecca (mit etwa 45 Minuten der vermutlich erste richtig lange Film) oder Afgrunden
(Dänemark 1910) von Urban Gad mit Asta Nielsen (37 Minuten).
Zu den erfolgreichsten Filmen der 1900er Jahre zählten die Special-Effects-Orgien von Georges Méliès, siehe Die Reise zum Mond
, aber das war nun sicher alles andere als seriöse Filmkunst. Vieles bestand schlicht aus abgefilmten Theaterszenen, doch nach 1910 entwickelten sich langsam neue Formen des Erzählens, die sich mehr und mehr von der Bühne lösten. Als Folge dessen wurden auch die Filme immer länger. Zur bis dahin ambitioniertesten Produktion wuchs schließlich Giovanni Pastrones Cabiria
heran.
Inhalt: Die Geschichte spielt zur Zeit des Dritten Punischen Krieges und beginnt mit einem spektakulär gefilmten Ausbruch des Ätna. Dabei verliert die kleine Cabiria ihre Eltern und wird von Seeräubern entführt. Sie landet auf dem Sklavenmarkt von Karthago, wo sie ausgerechnet der Hohepriester als potenzielles Menschenopfer erwirbt. Aber ein römischer Edelmann und das Muskelpaket Maciste retten die Kleine. Und alles wird wieder gut.
Filmhistorisch bedeutsam, weil: Die rekonstruierte Fassung von Cabiria
läuft 168 Minuten. Das war 1914 weit jenseits des Üblichen. Natürlich hatten andere Werke den Weg geebnet, so der etwa zweistündige Quo vadis?
(1912) von Enrico Guazzoni. Aber was Giovanni Pastrone da mit Cabiria
abzog, war schon eine ganz andere Liga und sollte einen sofortigen tiefen Eindruck auf die Filmschaffenden in aller Welt machen. Nicht zuletzt David Wark Griffith ließ sich davon direkt zu seinem umstrittenen Die Geburt einer Nation
(1915) insprieren.
Um sich die nötige Aufmerksamkeit zu verschaffen, hatte sich Pastrone den Namen des damals gefeierten Dichters Gabriele D'Annunzio gesichert. Um ihn ganz ins Scheinwerferlicht zu rücken, führte Pastrone sogar unter dem Pseudonym Piero Fosco Regie. Dabei war D'Annunzios Einfluss tatsächlich sehr gering. Auf sein Konto gingen lediglich einige in schwülstigem Italienisch verfasste Zwischentitel.
Immerhin bewirkte der Trick, dass Pastrone bei der Produktion ungewöhnlich viel Geld ausgeben durfte. Er drehte an Originalschauplätzen in den Alpen und in Afrika und sparte nicht mit kostspieligen Kulissen, von denen mindestens der berühmte Moloch (Foto) zu den Ikonen der Filmgeschichte zählt. D'Annunzios Name war es auch, der Cabiria
die Aufmerksamkeit der Kulturredaktionen sicherte, sodass er in den Feuilletons besprochen wurde (was damals für einen Film eigentlich undenkbar erschien). Die Rechnung ging auf, und Pastrones Film wurde auf Anhieb ein Riesenerfolg.
Formal erzählt Pastrone noch ganz in Totalen und Halbtotalen. Die uns heute so vertrauten Großaufnahmen von sprechenden Köpfen fehlen ganz. Trotzdem gibt es auch technische Innovationen: Pastrone ließ sich einen Kamerawagen patentieren und veränderte durch fließende Bewegungen das Bild während einer Szene. Was heute als ganz normal erscheint, war ein wichtiger Schritt weg vom Theater zu filmischen Denken.
Abspann: Der starke Maciste wurde beim Volk so populär, dass Darsteller Bartolomeo Pagano, eigentlich Hafenarbeiter, sofort zum Filmstar wurde und schon 1915 durch die erste Fortsetzung geisterte (Maciste
). Noch bis in die 1970er Jahre hinein entstanden immer neue Filme um den antiken Bodybuilder (dann natürlich mit anderen Darstellern).