Autor:
Giovanni Cortese
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Dieser Text ist Teil meiner Reihe mit 100 bedeutsamen Werken der Filmgeschichte. Wenn Sie mehr dazu wissen möchten, lesen Sie bitte zunächst den kurzen Einführungstext; da erkläre ich etwas genauer, was das hier soll.
(Drama, Italien 1948, Regie: Vittorio De Sica, mit Lamberto Maggiorani, Enzo Staiola, Lianella Carell, Gino Saltamerenda, Vittorio Antonucci, s/w)
Intro: Fahrräder, das ist wirklich nichts Neues, werden gern und häufig geklaut. Wenn einem dieses Missgeschick passiert, ist es ärgerlich, man flucht ein bisschen, meldet es der Versicherung, und die Sache ist erledigt. Aber das war nicht immer so. Es gab einmal Zeiten, in denen die einfachen Leute mehr Grund zur Sorge hatten als heute, wo trotz Wirtschaftskrise und Weltuntergangsgeschrei noch nahezu jeder seinen Fernseher, seinen DVD-Player und sein Auto besitzt und das einzige wirkliche Problem die zunehmende Übergewichtigkeit darstellt. Auf diesem Niveau lässt es sich trefflich jammern, und da ist es vielleicht einmal ganz hilfreich, sich den Klassiker des italienischen Neorealismus anzuschauen: De Sicas "Fahrraddiebe".
Inhalt: Italien nach dem Krieg: Der arbeitslose Antonio (Maggiorani) hat endlich einen Job als Plakatkleber gefunden. Voraussetzung dafür ist allerdings ein eigenes Fahrrad. Und das ist längst beim Pfandleiher. Mit seiner Frau verhökert er das letzte Hab und Gut der Familie (die Bettwäsche), um den Drahtesel auszulösen. Doch kaum hat er mit der Arbeit begonnen, wird ihm das Rad gestohlen. Und da ist keine Versicherung, die ihm schnell aus der Patsche hilft.
Begleitet von seinem Sohn Bruno (Staiola) versucht Antonio das Unmögliche: seine gestohlene Existenzgrundlage im labyrinthischen Rom wiederzufinden. Es ergeben sich sogar ein paar verheißungsvolle Spuren, und tatsächlich findet er gegen jede Wahrscheinlichkeit sogar den Täter, aber er kann den Diebstahl nicht beweisen. Die extreme Not treibt ihn zu einer verzeifelten Tat ...
Filmgeschichtlich bedeutsam, weil: Antonio ist wirklich ein armes Schwein. Solche Typen waren damals für das Kino ziemlich uninteressant. Die Plakate, die er ankleben muss, zeigen den damaligen Hollywood-Glamour-Star Rita Hayworth, und der Kontrast zu De Sicas Kino könnte größer nicht sein. Im Neorealismus wurde mit Laiendarstellern gedreht, an Originalschauplätzen, ohne Firlefanz und Brimborium. Gezeigt wurde nicht das Leben der Reichen und Wichtigen und der Sesselfurzer, sondern der einfachen Leute, die nach dem Krieg genug damit zu tun hatten, nicht zu verhungern.
Aber die Neorealisten machten daraus kein dröges Sozialarbeiterkino. Sie erzählten spannende wie anrührende Geschichten aus dem Alltag, jedoch ohne Sentimentalität, ohne Beschönigung und ohne jene kitschige Verlogenheit, die in heutigen Sozialdramen beinahe zum guten Ton gehört (Stichwort: Feelgood-Kino, wo sich mit geradezu pathologischer Hartnäckigkeit immer alles zum Guten wenden muss, auch wenn jeder weiß, dass das so wahrscheinlich ist wie ein Lotto-Sechser). Obwohl De Sicas Film nichts enthält, was ihn - schon damals - zum Kinohit vorherbestimmte, wurde "Fahrraddiebe" ein großer internationaler Erfolg, und zwar verdientermaßen: Denn hier erzählt jemand mit spürbarer Anteilnahme von wirklichen Menschen mit wirklichen Problemen, aber ohne erhobenen Zeigefinger und im Rahmen einer fesselnden Detektivgeschichte (auch wenn das Gesuchte "nur" ein Fahrrad ist).