100 Filme: Metropolis

19. Dezember 2010, 23:59 Uhr

Kategorie: 100 Filme, Kultur

Autor:
Giovanni Cortese

Dieser Text ist Teil meiner Reihe mit 100 bedeutsamen Werken der Filmgeschichte. Wenn Sie mehr dazu wissen möchten, lesen Sie bitte zunächst den kurzen Einführungstext; da erkläre ich etwas genauer, was das hier soll.

Metropolis

Science Fiction, Deutschland 1927, Regie: Fritz Lang, Buch: Thea von Harbou, mit Gustav Fröhlich, Brigitte Helm, Alfred Abel, Rudolf Klein-Rogge, Heinrich George, Fritz Rasp

Vorspann: Der möglicherweise bekannteste deutsche Stummfilm überhaupt war und ist bei der Filmkritik nicht unumstritten. Der englische Schriftsteller H. G. Wells (Die Zeitmaschine, Krieg der Welten) schrieb dazu:

Ich habe neulich den dümmsten aller Filme gesehen. Ich glaube nicht, dass es möglich ist, einen noch dümmeren zu machen. Er heißt Metropolis.

Wells, der natürlich Michael Bays Armageddon noch nicht kennen konnte, begründet sein Urteil damit, dass Metropolis ein einziges Chaos verschiedenster Stile und technischer Zeitalter sei, worin vorsintflutliche Doppeldecker durch futuristische Straßenschluchten tuckern.

Nun ja, ganz falsch liegt Wells nicht. Für einen Film, der so oft bewundert wird und sogar zum Weltdokumentenerbe der UNESCO zählt, ist Metropolis schon reichlich unsinnig. Doch der Reihe nach:

Inhalt: In der gigantischen Zukunftsstadt Metropolis leben die Menschen streng nach sozialer Schicht getrennt. In der Oberstadt lebt das Großkapital, in der Unterstadt hausen unter erbärmlichsten Bedingingen die Arbeiter, abgestumpft und zur gleichförmigen Masse verkommen. Nun entspinnen sich hier zahlreiche, nicht immer geschickt verknüpfte Handlungsstränge, die am Ende zur Rebellion der Arbeiter führen - und zur Versöhnung mit den hedonistischen Nichtstuern aus der Oberstadt.

Filmhistorisch bedeutsam, weil: Metropolis hat zwei Seiten. Brillant ist die visuelle Umsetzung, obgleich da stilistisch in der Tat wenig zusammengeht. Da bastelt ein romantischer Erfinder-Zausel in seiner Alchemistenküche einen hypermodernen Roboter (ein Milliarden-Dollar-Forschungsprojekt aus dem Hobbykeller, sozusagen). Aber rein zum Anschauen ist das alles wunderbar.

Inhaltlich dagegen, und da haben Kritiker wie Wells völlig Recht, ist Metropolis dämlich bis an die Schmerzgrenze. Siegfried Kracauer analysierte in seinem immer noch lesenswerten Buch Von Caligari zu Hitler die autoritären und vorfaschistischen Tendenzen im deutschen Kino der Weimarer Republik, und dabei kommen Metropolis und Fritz Lang gar nicht gut weg:

In Nibelungen hatte (Langs) dekorativer Stil eine vielfältige Bedeutung; in Metropolis erscheint das Dekorative nicht nur als Selbstzweck, sondern unterläuft sogar gewisse, mittels der Handlung getroffene Aussagen. (...) In seinem unbedingten Willen zur Ornamentalisierung scheut Lang nicht davor zurück, dekorative Muster aus jenen Massen zu bilden, die verzweifelt der Überflutung der Unterstadt zu entfliehen suchen. Die Überschwemmungsszene, filmisch eine unvergleichliche Leistung, bezeugt menschlich ein schockierendes Versagen. (S. 159)

Zudem wirkt das Motto aus Metropolis, wonach der Mittler zwischen Hirn und Hand das Herz sein solle, zwar schön stabgereimt, sonst aber wie ein Anwärter auf den Preis der hirnlosesten Hirn-Sätze. Kracauer dazu:

Tatsächlich könnte Marias Forderung, daß das Herz zwischen Hand und Hirn vermitteln muss, ohne weiteres von Goebbels stammen. Auch er appellierte - im Namen totalitärer Propaganda - an das Herz. (S. 172)

Das ist nicht aus der Luft gegriffen. Lang erzählte selbst, wie Goebbels ihn 1933 zu sich bestellt und ihn wegen Metropolis auch im Namen Hitlers überschwänglich gelobt habe. Das Angebot, für die neuen Machthaber Filme zu drehen, schlug Lang freilich aus und emigrierte kurz darauf nach Amerika, wo er in Hollywood vor allem mit Thrillern und Western Erfolg hatte.

Das von Lang in Metropolis bis zum Exzess gepflegte ästhetische Prinzip, Menschenmassen als Muster auszurichten, griffen die Nazis dennoch dankbar auf, und in den Filmen Leni Riefenstahls wurde dies wenig später auf die Spitze getrieben. Über Triumph des Willens (ein Werk über den Nürnberger NSADP-Parteitag 1934) schreibt Kracauer:

In Nürnberg erschien das Ornament der Masse (...) in gigantischen Ausmaßen: ein Meer von Flaggen und Menschen, die kunstvoll ausgerichtet waren. Seelen wurden durch und durch manipuliert, wie um den Eindruck zu schaffen, das Herz vermittle zwischen Hirn und Hand. (S. 287)

Leider versagt Lang auch völlig bei der Analyse einer kapitalistischen Gesellschaft. Die dargestellten Arbeitsabläufe, die doch immerhin zentral für die Aussage des Films sind, ergeben keinen Sinn: Da drehen die geknechteten Arbeiter wie die Blöden an einem Stellrad herum, was aber bereits mit der Technik der 1920er Jahre leicht zu automatisieren gewesen wäre; zudem fliegt das ganze Ding schon bei der geringsten Fehlbedienung in die Luft. Man vergleiche diesen Unsinn mit der satirisch treffenden Darstellung in Charlie Chaplins Moderne Zeiten.

Kurz und gut, es hilft nichts: Metropolis ist und bleibt ein strunzdummer Film, da ist nun mal nichts zu retten. Warum erscheint er dann in dieser Liste mit 100 bedeutsamen (Meister-)Werken? Kracauer hat es mit der Formulierung filmisch eine unvergleichliche Leistung mal wieder auf den Punkt gebracht. Mit einer für die damalige Zeit beachtlichen Tricktechnik hatte Fritz Lang Bilder geschaffen, die nicht allein den Science-Fiction-Film bis heute prägen.

So fragwürdig die Ästethik im einzelnen ist, so beeindruckend bleibt ihre Umsetzung bis heute. Noch im Jahre 2010 präsentiert sich R'n'B-Chanteuse Janelle Monáe auf dem Cover von The ArchAndroid mit einem schicken Metropolis-Hütchen und kann immer noch sicher sein, damit ziemlich hip auszusehen (siehe auch ihr Vorgängeralbum).

Abspann: Fritz Langs extrem aufwendiger Film war bei Publikum und Presse kein großer Erfolg. Die miserablen Einspielergebnisse ruinierten fast die Ufa, und mit seinen nächsten Projekten musste Lang dann erst mal wieder etwas kleinere Brötchen backen. Dem Misserfolg ist es auch geschuldet, dass der ziemlich lange Film schnell gekürzt und verschandelt wurde. Lange Zeit galt dieses Material als unwiderbringlich verloren. Doch 2008 tauchte in Buenos Aires eine nahezu komplette 16-mm-Kopie auf, mit deren Hilfe sich die meisten fehlenden Szenen wieder rekonstruieren ließen. Diese Fassung wurde bei der Berlinale 2010 trotz eisiger Kälte auf einer Open-Air-Leinwand gezeigt.

100 Filme
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18. November 2010100 Filme: Bewegliche Ziele (Targets)
11. November 2010100 Filme: Die Zehn Gebote (The Ten Commandments)
04. November 2010100 Filme: Erpressung (Blackmail)
28. Oktober 2010100 Filme: Lawrence von Arabien (Lawrence of Arabia)
21. Oktober 2010100 Filme: Goldfinger
14. Oktober 2010100 Filme: Die besten Jahre unseres Lebens (The Best Years Of Our Lives)
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19. August 2010100 Filme: Der Pate (The Godfather)
12. August 2010100 Filme: Die Herde (Sürü)
05. August 2010100 Filme: Das Ende von St. Petersburg (Конец Санкт-Петербурга)
29. Juli 2010100 Filme: Aguirre - Der Zorn Gottes
22. Juli 2010100 Filme: Asche und Diamant (Popiół i diament)
15. Juli 2010100 Filme: Der eiskalte Engel (Le Samouraï)
08. Juli 2010100 Filme: Arsen und Spitzenhäubchen (Arsenic and Old Lace)
01. Juli 2010100 Filme: The Straight Story - Eine wahre Geschichte (The Straight Story)
24. Juni 2010100 Filme: Romanze in Moll
17. Juni 2010100 Filme: Krieg und Frieden (Война и мир)
10. Juni 2010100 Filme: Der Saustall (Coup de torchon)
03. Juni 2010100 Filme: Heaven's Gate - Das Tor zum Himmel (Heaven's Gate)
27. Mai 2010100 Filme: Ein Hauch von Zen (Hsia Nu/A Touch of Zen)
20. Mai 2010100 Filme: Requiem for a Dream
13. Mai 2010100 Filme: Robin Hood, König der Vagabunden (The Adventures of Robin Hood)
06. Mai 2010100 Filme: Bonnie und Clyde (Bonnie and Clyde)
29. April 2010100 Filme: Tarantula
22. April 2010100 Filme: Die Brücke
15. April 2010100 Filme: Der Schwarze Falke (The Searchers)
08. April 2010100 Filme: Die Vampire (Les Vampires)
01. April 2010100 Filme: Das 1. Evangelium Matthäus (Il vangelo secondo Matteo)
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04. März 2010100 Filme: Die Passion der Jungfrau von Orléans (La Passion de Jeanne d’Arc)
25. Februar 2010100 Filme: Short Cuts
18. Februar 2010100 Filme: Taxi Driver
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19. November 2009100 Filme: Außer Atem (À bout de soufflé)
12. November 2009100 Filme: Die 36 Kammern der Shaolin (Shao Lin san shi liu fang)
05. November 2009100 Filme: Nosferatu - Eine Symphonie des Grauens
29. Oktober 2009100 Filme: Tote schlafen fest (The Big Sleep)
22. Oktober 2009100 Filme: Supervixens
15. Oktober 2009100 Filme: Die Wanderschauspieler (O thiasos)
08. Oktober 2009100 Filme: Der unsichtbare Dritte (North By Northwest)
01. Oktober 2009100 Filme: Der Terminator (The Terminator)
24. September 2009100 Filme: Dr. Jekyll & Mr. Hyde
17. September 2009100 Filme: Z
10. September 2009100 Filme: Blow Up
03. September 2009100 Filme: Das Cabinet des Dr. Caligari
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20. August 2009100 Filme: Django
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06. August 2009100 Filme: Pulp Fiction
30. Juli 2009100 Filme: Der General (The General)
23. Juli 2009100 Filme: Belle de jour - Schöne des Tages
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09. Juli 2009100 Filme: Pickpocket
02. Juli 2009100 Filme: Vampyr
25. Juni 2009100 Filme: Die Reise zum Mond (Le voyage dans la lune)
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11. Juni 2009100 Filme: Die große Illusion (La grande illusion)
04. Juni 2009100 Filme: Zwölf Uhr mittags (High Noon)
28. Mai 2009100 Filme: Ratatouille
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16. April 2009100 Filme: Freaks
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26. März 2009100 Filme: M - Eine Stadt sucht einen Mörder
18. März 2009100 Filme (Pilot)

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