Autor:
Giovanni Cortese
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Dieser Text ist Teil meiner Reihe mit 100 bedeutsamen Werken der Filmgeschichte. Wenn Sie mehr dazu wissen möchten, lesen Sie bitte zunächst den kurzen Einführungstext; da erkläre ich etwas genauer, was das hier soll.
Drama, Schweden 1924, Regie: Mauritz Stiller, mit Lars Hanson, Ellen Hartman-Cederström, Gerda Lundequist, Greta Garbo, Jenny Hasselqvist, Karin Swanström
Intro: Lang ist's her, aber es gab einmal eine Zeit, da hatte Hollywood mächtige Konkurrenz aus Europa. Und die beschränkte sich eben nicht in der Nachahmung amerikanischen Produktionsgeschmacks. Im frühen Kino war das im Grunde genau anders herum. Künstlerisch wegweisende Impulse kamen von Regisseuren aus Frankreich, Dänemark, Italien, der Sowjetunion und Deutschland, und Hollywoods Rolle bestand im wesentlichen daraus, das alles aufzusaugen und eine Nummer größer nachzubauen. Ein David Wark Griffith wäre indes ohne die Steilvorlage von Giovanni Pastrones Cabiria
möglicherweise niemals wirklich durchgestartet.
Um 1920 herum blühte im Norden Europas die schwedische Filmkultur. Zehn Jahre zuvor hatte der dänische Film mit seinem Star Asta Nielsen internationale Höhenflüge erlebt, aber ein so kleines Land konnte auch damals schon eine Führungsrolle nicht ewig durchhalten. Das gilt auch für das zwar größere, aber spärlich besiedelte Schweden.
Die Blüte des schwedischen Films war kurz, aber sehr fruchtbar - auch und gerade für Hollywood. Während sich Zentraleuropa im Ersten Weltkrieg aufrieb, bot Schweden ideale Produktionsbedingungen. Regisseur Mauritz Stiller erregte Aufsehen mit seiner Selma-Lagerlöf-Verfilmung Herr Arnes Schatz
(1917) oder seiner Gesellschaftskomödie Erotikon
(1920), und Victor Sjöström hatte großen Erfolg mit dem düsteren Der Fuhrmann des Todes
(1921). Wenige Jahre später war es mit dem Glanz dann auch schon vorbei, und Abgesang war noch einmal ein Riesenschinken von Mauritz Stiller, wieder nach einem Roman von Literatur-Nobelpreisträgerin Selma Lagerlöf: Gösta Berlings Saga
.
Inhalt: Die Geschichte soll nur in ihren Grundzügen skizziert werden: Der junge Geistliche Gösta Berling weiß zwar brillant zu predigen, ist aber hemmungslos dem Suff verfallen. In vino veritas, heißt es bekanntlich, und so liest er seinen Schäfchen schon mal allzu deutlich die Leviten … bis sie ihn zum Teufel jagen. Auf dem Landgut Ekeby findet er einen neuen Job und lernt dabei die junge Gräfin Drohna kennen. Die ist mit einem unsäglichen Blödmann verheiratet, der auch noch wesentlich älter ist als sie und darüber hinaus extrem langweilig. Da ist der schmucke wie geläuterte Ex-Pfarrer doch eine verlockende Alternative, und nach einigen Handlungsschlenkern funkt's dann schließlich.
Filmhistorisch bedeutsam, weil: Zugegeben: Für heutige Zuschauer ist der Film nicht ganz leicht zu gucken. Er ist mit knapp über drei Stunden Laufzeit nun auch nicht gerade kurz. Am Stück wird das manchmal ziemlich anstrengend. Doch das aufwendig produzierte und visuell beeindruckende Gesellschaftsdrama setzte seinerzeit erst einmal die Maßstäbe für diese Sorte Film, und manche reden gar von einem schwedischen Vom Winde verweht
. Auch wenn die Unterschiede beträchtlich sind: Ganz abwegig ist der Vergleich doch nicht.
Mauritz Stiller adaptierte das mit zahlreichen Abschweifungen und Anekdoten gespickte Werk Selma Lagerlöfs recht vorlagengetreu und spart nicht mit tourismusfördernden Aufnahmen der schwedischen Landschaft (die auch in Schwarzweiß noch etwas hermacht). Spektakulärer Höhepunkt ist der Brand von Ekeby, eine inszenatorische Tour de Force, mit der die damalige Filmtechnik bis an die Grenzen ausgereizt wurde.
Gösta Berlings Saga
ist aber auch die Geschichte einer ganz besonderen Entdeckung. In einer größeren Nebenrolle ist hier ein leicht pummeliges Teenager-Mädel zu sehen. Sie stach die Stars in der Besetzungsliste mühelos aus und hinterließ vor allem im Ausland einen gewaltigen Eindruck. Die Karriere von Greta Garbo (eigentlich Gustafsson) ging anschließend ab wie eine Rakete. Das war auch das Verdienst von Mauritz Stiller, der sie bei den Dreharbeiten endlos drangsalierte, bis er endlich mit dem Ergebnis tausendprozentig zufrieden war.
Abspann: Nach Gösta Berlings Saga
begann für den schwedischen Film der Aderlass Richtung Hollywood. Regisseur Stiller hatte dort freilich gar kein Glück und wurde bereits nach einem halben Film gefeuert (Dämon Weib
, 1926, den Fred Niblo zu Ende drehte). Sein Star allerdings, Greta Garbo, wurde nach einem kurzen Umweg über Deutschland (Die freudlose Gasse
, 1925) für die nächsten anderthalb Jahrzehnte zur führenden Hollywood-Diva und erhielt den Beinamen die Göttliche.
Meist wurde sie in schwermütigen, aber wirkungsvollen Melodramen eingesetzt und spielte von Mata Hari über Anna Karenina bis hin zur Kameliendame so ziemlich jedes Frauenschicksal, das ein unglückliches Ende nahm. Erst am Ende ihrer Karriere kam man auf die Idee, es auch einmal mit einer Komödie zu versuchen, und Ninotschka
(1939) von Ernst Lubitsch ist prompt einer ihrer besten Filme.
Aber auch Gösta
-Darsteller Lars Hanson landete in Hollywood, wo er zum Beispiel unter der Regie seines Landsmanns Victor Sjöström in dem grandiosen Drama The Wind
(1928) an der Seite von Lillian Gish auftrat. Anders als Greta Garbo schaffte er jedoch nicht den Sprung in den amerikanischen Tonfilm.