Autor:
Giovanni Cortese
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Dieser Text ist Teil meiner Reihe mit 100 bedeutsamen Werken der Filmgeschichte. Wenn Sie mehr dazu wissen möchten, lesen Sie bitte zunächst den kurzen Einführungstext; da erkläre ich etwas genauer, was das hier soll.
Thriller/Gesellschaftsdrama, USA 1968, Regie und Buch: Peter Bogdanovich, mit Boris Karloff, Tim O'Kelly, Nancy Hsueh, James Brown, Sandy Baron, Peter Bogdanovich
Inhalt Der alternde Horrorstar Byron Orlok hat erkannt, dass die Filmstil, für den er steht, nur noch zum Abgähnen in schundigen Autokinos taugt. Mit dem alltäglichen Horror der Gesellschaft haben sie nichts mehr zu tun, weshalb er er sich zur Ruhe setzen will.
Zur gleichen Zeit zeigt der biedere Bobby, ein junger Waffennarr, gewisse Verhaltensauffälligkeiten. Immer häufiger nimmt er, zunächst noch aus Spaß, Menschen ins Fadenkreuz seines Gewehrs.
Eines Tages wird Bobby seine glückliche Bilderbuch-Ehe, das langweilige Familien-Dasein vor dümmlichen TV-Shows und das Einerlei der gutbürgerlichen Existenz zu viel. Mit einem Picknickkorb macht er einen netten Ausflug und erschießt reihenweise Autofahrer auf einem Highway. Auf der Flucht gelangt er in ein Autokino, wo zufällig das neueste (und gleichzeitig letzte) Werk von Byron Orlok in Anwesenheit des Stars Premiere feiert.
Durch ein Loch in der Leinwand erlegt Bobby noch zahlreiche weitere Menschen, bevor ihm ausgerechnet der alte, gebrechliche Orlok auf die Schliche kommt. Als er dem Attentäter gleichzeitig auf Leinwand und in der Realität entgegentritt, eröffnet der verwirrte Bobby das Feuer auf den Film-Orlok und wird daraufhin überwältigt.
Filmhistorisch bedeutsam, weil: Nach jedem Amoklauf beschäftigen sich Politiker und zahlreiche andere berufene wie unberufen Leute mit der Frage, inwieweit Unterhaltungsmedien einen Einfluss auf die einschlägigen Täter haben. Ballerspiele und blutrünstige Filme werden stets an erster Stelle der negativen Einflussnahme genannt. Dass solche Fragen nicht das Kind unserer Zeit bzw der letzten Jahre sind, zeigt ein Blick auf das Regiedebüt von Peter Bogdanovich.
Bogdanovich, vormals Filmkritiker und später für kurze Zeit erfolgreicher Starregisseur, inszenierte seinen Erstling als Billigproduktion für Roger Corman. Der hatte sich in den 50er Jahren einen Namen als kostengünstig und termingerecht arbeitender Trash-Experte gemacht. Später, in den frühen 60er Jahren, drehte Corman dann einen vielbeachteten Filmzyklus nach Werken (besser gesagt: nach Werktiteln) von Edgar Allan Poe, und das sollte später erheblichen Einfluss auf Bogdanovichs Erstling haben.
Als Corman 1967 dem Jungspund die Chance zur Filmregie bot, schwebte ihm wohl ein zeitgemäßer billiger Horrorreißer mit dunklen Gewölben, finstren Patriarchen und drallen Blondinen in zerrissenen Kleidchen vor, der übliche Trash der Zeit halt. Und weil Horror-Legende Boris Karloff ihm aus den Zeiten der Poe-Filme noch ein paar Drehtage schuldete, bekam er ihn praktisch für lau. Zudem schlummerten noch zwanzig fertig abgedrehte, aber nicht verwendete Minuten aus The Terror
(1963) im Archiv.
Der halbe Film, so dachte Corman sich das, war also im Grunde schon fertig. Bodganovich sollte dann nur noch irgendetwas mehr oder weniger Passendes dazudrehen. Aber das machte der nicht.
Bogdanovich hatte erkannt, dass das Horrorkino der Zeit sich hoffnungslos vom wirklichen Horror des Alltags entfernt hatte, und er nutzte das Gesicht Karloffs und Cormans Mülleimer-Aufnahmen (die nur als Zitate auftauchen) für eine Reflexion über Medien und Gesellschaft.
Er inszeniert das sorgenfreie, aber triste Leben des braven Bobby mit kühler Ironie, manchmal mit trockener Sachlichkeit. Was am Ende konkret seinen Amoklauf auslöst, ist der berühmte Tropfen und das überlaufende Fass. Um so deutlicher wird der größere, allgemeinere Anlass, die Ödnis seines gänzlich uninteressanten Daseins. (Ballerspiele gab es damals noch nicht, offenbar aber Amokläufe.)
Bogdanovichs Herkunft aus der Filmkritiker-Ecke lässt sich nun auch nicht verbergen, und so verweist der Name des alten Horrorstars Orlok auf den des Blutsaugers in Murnaus Dracula-Plagiat Nosferatu
; und auch Boris Karloffs Rolle lebt von einem gelegentlichen Augenzwinkern, etwa in der Szene, in der er vor seinem eigenen Spiegelbild erschrickt. Bogdanovich selbst spielt auch mit - logischerweise als Orloks Regisseur.
Das alles gibt dem Film eine Doppelbödigkeit zwischen realem Drama und Reflexion über das Kino, was sich dann in der Showdownszene ganz offen mitteilt. Seine verstörende Kraft hat Bewegliche Ziele
bis heute bewahrt.
Abspann: Boganovichs Aufstieg war rasant. Er feierte Riesenerfolge mit Die letzte Vorstellung
(1971), Is' was, Doc?
(1972) und Paper Moon
(1973). Doch nach einigen Flops versank er genauso rasant wieder in der Versenkung, aus der er gelegentlich mit Filmen wie Texasville
(1990) wieder auftauchte, doch an die Qualität seiner frühen Werke konnte er nie mehr anschließen.
Boris Karloff spielte in Bewegliche Ziele
eine seiner letzten Rollen (und eine seiner besten). Er starb 1969, nachdem er zuletzt in miesen Produktionen wie dem spanischen El coleccionista de cadáveres
weit unter Wert herumgereicht wurde.
Das Horrorkino selbst hat sich seit 1968 erheblich weiterentwickelt. Auch wenn heutige Schocker auf drastische Gewalt und Sadismen setzen (zur Chiffre für diesen Trend wurden die sogenannten Folterpornos wie Saw
und Hostel
), ist das meiste davon auf seine Art nicht weniger irreal als damals. Wirklicher, realer Schrecken würde dem ganzen Horrorkino immer noch den Spaß verderben. Dass der Schrecken auch in der Banalität liegen kann, wusste Bodganovich schon vor über 40 Jahren. Und bald sollte das Horrorkino für Typen wie diesen Bobby eine geeignete Metapher finden: den Zombie.