Autor:
Giovanni Cortese
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Dieser Text ist Teil meiner Reihe mit 100 bedeutsamen Werken der Filmgeschichte. Wenn Sie mehr dazu wissen möchten, lesen Sie bitte zunächst den kurzen Einführungstext; da erkläre ich etwas genauer, was das hier soll.
(Horror/Drama, USA 1932, Regie: Tod Browning, mit Olga Baclanova, Wallace Ford, Henry Victor, Leila Hyams, Harry Earles, Daisy Earles, Roscoe Ates, Johnny Eck, Daisy und Violet Hilton, Angelo Rossito, Prince Randian, Martha Morris, Olga Roderick, Zip & Pip, Jenny Snow, Elvira Snow, Schlitzie)
Inhalt: Ein Schausteller auf einem Jahrmarkt präsentiert seinen Gästen "lebende, atmende Monstrositäten", und passend zum Prachtstück seiner Sammlung erzählt er die Geschichte der einstigen Trapez-Artistin Cleopatra (Baclanova), dem "Pfau der Lüfte". Sie zählte zu Madame Tetrallinis Zirkustruppe, deren Haupt-Attraktion eine ziemlich kranke Abnormitäten-Schau ist (eine "Freak-Show" eben). Die schöne Cleopatra liebt das Muskelpaket Hercules und macht sich lustig über den zwergwüchsigen Hans (Earles), der sie offensichtlich verehrt. Als sie erfährt, dass er sehr reich ist, heiratet sie ihn aus reiner Gier. Sie verliert keine Zeit und beginnt schon bei der Hochzeitsfeier, Hans langsam zu vergiften. Doch die Freaks haben sie beobachtet, und sie kennen keine Gnade; ihr Ehrenkodex lautet: "Was du einem von uns antust, tust du allen an." In einer Gewitternacht beschließen sie furchtbare Rache.
Filmhistorisch bedeutsam, weil: "Freaks" ist ein Horrorfilm, in dem die Monster alle echt sind. Sie sind nicht das Ergebnis geschickter Filmtricks: die siamesischen Zwillinge, die Kleinschädler, der halbe Mann (Foto) und der lebende Torso (der sich nur mit dem Mund eine Zigarette anzünden kann).
Das wahre Monster aber ist die schöne Cleopatra. Als die Freaks sie in ihrer Hochzeitsnacht fröhlich in ihren Kreis aufnehmen wollen, schreit sie ihnen hysterisch ein "you dirty slimy freaks!" entgegen und verjagt sie. Wobei sie schließlich doch eine von ihnen wird, allerdings auf die denkbar schrecklichste Weise: Am Ende, wenn der erzählende Ausschausteller die Rückblende schließt, sieht man sie selbst als Schaustück, als verstümmelte und entstellte, wahnsinnig gackernde Huhnfrau (der einzige Maskeneffekt des Films, prompt nicht sonderlich überzeugend).
Political correctness gab es 1932 noch nicht. Auf Kosten der "Freaks" werden mitunter unbekümmert sehr, sehr schwarze Witze gedroschen, zum Beispiel über die Liebschaften der siamesischen Zwillinge Daisy und Violet. Was Tod Browning hier fabriziert hatte, ließ die meisten Kritiker erwartungsgemäß ausrasten. Einer fand, dieses Machwerk sei "so eklig, dass mir schlecht wird, wenn ich nur daran denke." Auch das Publikum reagierte verstört. Es dauerte folglich nicht lange, bis die Produktionsfirma MGM den Film aus dem Verkehr zog. Überall bekam "Freaks" Ärger mit der Zensur. In Großbritannien war er bis 1963 ganz verboten. So wurde der Film zwischenzeitlich selbst zu einem "Freak", zu einer unerwünschten Missgeburt, die von kinematographischen Schaustellern einem voyeuristischen Publikum marktschreierisch dargeboten wurde.
In den 60er Jahren feierte Tod Brownings Film seine Auferstehung, und während er früher in der Filmgeschichte extrem isoliert dastand, wird er heute sogar da zitiert, wo man es nicht erwartet, so in Tim Burtons "Charlie und die Schokoladenfabrik" oder in der ersten "Toy Story". Da ist diese Szene, in der die defekten und umgebauten Spielzeuge auf die Helden zukriechen, die darüber in Panik geraten - ein direktes Zitat aus dem Finale von "Freaks". Das Kinopublikum von heute, das an Teenie Slasher und Folterpornos gewöhnt ist, wird "Freaks" kaum noch als Horrorfilm sehen. Aber es ist dennoch ein Film, der nach wie vor an die Nieren geht.