Autor:
Giovanni Cortese
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Dieser Text ist Teil meiner Reihe mit 100 bedeutsamen Werken der Filmgeschichte. Wenn Sie mehr dazu wissen möchten, lesen Sie bitte zunächst den kurzen Einführungstext; da erkläre ich etwas genauer, was das hier soll.
Krieg und Frieden (Война и мир)
Historienepos, Sowjetunion 1965-67, Regie: Sergei Bondartschuk, Drehbuch: Sergei Bondartschuk und Wassili Solowjow nach dem Roman von Leo Tolstoi, mit Sergei Bondartschuk, Ljudmila Saweljewa, Wjatscheslaw Tichonow, Boris Sachawa, Anatoli Ktorow, Anastassija Wertinskaja, Antonina Schuranowa, Oleg Tabakow, Wiktor Stanizyn, Irina Skobzewa, Boris Smirnow, Wassili Lanowoi, Kira Golowko, Irina Gubanowa
Intro: Immer mal wieder wird die Frage aufgeworfen, was denn der teuerste Film aller Zeiten sei. Das lässt sich im Grunde gar nicht beantworten. Dazu sind erstens die Produktionsbedingungen in den einzelnen Ländern zu unterschiedlich, die schleichende Geldentwertung spielt eine Rolle, und selbst inflationsbereinigte Berechnungen sind letztendlich immer reine Theorie. Interessanter wäre die Frage, was ein Film kosten würde, wenn man ihn heute genau so drehen würde, doch auch das scheitert wegen des enormen filmtechnischen Fortschritts. Niemand muss heute noch ein Heer von Statisten bezahlen, wenn er die zehntausend Leutchen einfach als CGI-Animation aus dem Rechner zaubern kann.
Welche Liste man aber auch nimmt, ein Film wird stets sozusagen als außer Konkurrenz
geführt, und das ist die sowjetische Krieg und Frieden
-Adaption von Regisseur Bondartschuk. Von vornherein als Prestige-Objekt der Mosfilm angelegt, spielten kommerzielle Überlegungen gar keine Rolle, und Bondartschuk durfte vor allem bei der irrsinnig langen Sequenz von der Rückzugsschlacht an der Beresina ein Budget raushauen, das für zwanzig Hollywoodschinken gereicht hätte. Vergleichbar ist das aber schon deshalb nicht, weil kein Hollywoodproduzent mal eben die Rote Armee als billige Statisten abkommandieren kann. Bondartschuks Krieg und Frieden
zählt zu jenen Werken, die - in dieser Form - wohl unwiederholbar sind, denn vermnutlich wird sich niemals mehr jemand die Arbeit machen, tatsächlich solche Monumentalszenen ganz in Handarbeit und ohne Computeranimationen auf die Leinwand zu bringen.
Inhalt: Okay, man erwarte jetzt bitte keine detaillierte Inhaltsangabe des 1645-Seiten-Schinkens von Leo Tolstoi. Geschildert wird der Wandel einer aristokratischen Gesellschaft vor dem Hintergrund der Napoleonischen Kriege zwischen etwa 1805 und 1812, als Napoleon Bonapartes Grande Armée von den Russen völlig aufgerieben wurde.
Filmhistorisch bedeutsam, weil: Bereits 1956 entstand eine durchaus gelungene starbesetzte italienisch-amerikanische Produktion mit Henry Fonda und Audrey Hepburn unter der Regie von King Vidor. Obwohl mit dreieinhalb Stunden auch nicht gerade ein Kurzfilm, verknappt sie doch die Handlung drastisch und konzentriert sich auf die Liebesgeschichte zwischen Pierre Bezuchov und Natascha Rostova.
Bondartschuks Version dagegen ist mehr als doppelt so lang (etwa acht Stunden) und eine vollständige, in weiten Teilen sogar 1:1-getreue Adaption von Tostois Romanungetüms. Sichtlich ist Bondartschuks Regie stets bemüht, hinter dem äußeren Aufwand auch die gesellschaftlichen und persönlichen Dimensionen des Stoffes herauszuarbeiten. Die manchmal atemberaubenden Schauwerte sind es freilich, die dieser filmgewordenen Gigantomanie ihren Platz in der Filmgeschichte sichern
Dabei wurden buchstäblich Hunderttausende von Kostümen geschneidert, Heere von Komparsen unentwegt aufeinander gejagt und mit der zum Einsatz kommenden Pyrotechnik hätte man wahrscheinlich sogar den echten Napoleon in die Flucht geschlagen. Diese kleine Video-Montage gibt eine ungefähre Vorstellung davon, was da abgeht. Dabei wuchert ein Detailfetischismus, der dem Film hin und wieder sogar im Wege steht, wenn er ungewollt auch verdeutlichst, dass Tolstoi offenkundig nicht gerade ein Meister darin war, Dinge knapp und prägnant zu sagen. (Denn Hand aufs Herz: In der Tat liest sich sein Roman nicht immer mühelos, um es vorsichtig zu sagen, doch es sind die unvergesslichen Szenen wie der Brand von Moskau, die eine Lektüre und den wochenlangen Zeitaufwand dafür rechtfertigen.)
Bondartschuk selbst übernahm die Hauptrolle als Pierre Bezuchow, und mit dem Staraufgebot der 1956er Version aus dem Hause des Filmmoguls Dino de Laurentiis kann und will er nicht konkurrieren. (Sicher hätte man auch hier gern eine Audrey Hepburn gesehen, aber man kann nicht alles haben.)
Abspann: Krieg und Frieden
kam als Vierteiler in die internationalen Kinos, und der Erfolg blieb ihm auch nicht versagt. Hohe Ehre wurde ihm sogar von Hollywood zuteil: Im Jahr 1968 erhielt er - mitten im Kalten Krieg! - den Oscar für den besten nichtenglischsprachigen Film.