Autor:
Giovanni Cortese
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Dieser Text ist Teil meiner Reihe mit 100 bedeutsamen Werken der Filmgeschichte. Wenn Sie mehr dazu wissen möchten, lesen Sie bitte zunächst den kurzen Einführungstext; da erkläre ich etwas genauer, was das hier soll.
Arsen und Spitzenhäubchen (Arsenic and Old Lace)
Komödie, USA (gedreht: 1941, veröffentlicht: 1944), Regie: Frank Capra, Kamera: Sol Polito, Musik: Max Steiner, mit Cary Grant, Josephine Hull, Jean Adair, Raymond Massey, Priscilla Lane, Peter Lorre, Edward Everett Horton, Jack Carson, John Alexander, James Gleason
Inhalt: Schriftsteller Mortimer Brewster hat einen Bestseller gegen die Ehe geschrieben und gilt als eingefleischter Junggeselle. Als er eines Tages dennoch heiratet, möchte er dies verständlicherweise gern unter den Teppich kehren und sich ganz incognito in die Flitterwochen verpissen. Als braver Junge muss er sich natürlich vorher von seinen beiden niedlichen Tantchen Abby und Martha verabschieden. Dummerweise entdeckt er bei dieser Gelegenheit eine Leiche in deren Wäschetruhe. Und sie streiten auch gar nicht ab, die Mörderinnen zu sein.
Wie Mortimer rasch herausfindet, haben seine Tanten den ganzen Keller voller Leichen. Als ob das nicht genug wäre, taucht ausgerechnet an jenem Abend Mortimers lange verschwundener Bruder Jonathan wieder auf, der inzwischen weltweit als Serienkiller gesucht wird und seine letzte Leiche auch gleich mit anschleppt. Als Jonathan erfährt, dass seine Tanten einen Mord mehr auf dem Kerbholz haben als er, packt ihn der Ehrgeiz, gleichzuziehen. Sein nächstes Opfer soll Mortimer sein, der unterdessen Schwierigkeiten hat, seiner Braut zu erklären, warum das jetzt mit den Flitterwochen erst mal nicht klappt.
Filmhistorisch bedeutsam, weil: Die Inhaltsangabe erweckt beim unvorbereiteten Leser sicherlich den Eindruck, dass dieser Film der absolute Blödsinn ist. Und das ist richtig.
Aber guter Blödsinn will gekonnt sein. Als schwarze Komödie ist Arsen und Spitzenhäubchen
bis heute unerreicht. Dabei ist der Film wenig mehr als verfilmtes Theater, und das versucht Regisseur Capra auch gar nicht zu verstecken. Die Handlung braucht eine Weile, bis sie Fahrt aufnimmt, und die erste halbe Stunde ist vergleichsweise gemächlich. Das folgt aber dem klaren Konzept, die beiden harmlos wirkenden alten Damen erst einmal in all ihrer betulichen Spießigkeit zu etablieren. Mortimers Entdeckung in der Wäschetruhe wirkt vor diesem Hintergrund nur um so bizarrer.
Dreh- und Angelpunkt ist der begnadete Komiker Cary Grant (der natürlich auch ernste Rollen spielen konnte, zum Beispiel bei Hitchcock). Seine zunehmende und nur zu verständliche Hysterie führt dazu, dass er in diesem Umfeld total durchgeknallter Chaoten wie ein Fremdkörper wirkt, oder, anders gesagt: Während die Verrückten sich aus ihrer Situation heraus völlig normal und ruhig verhalten, fegt der einzige geistig Gesunde wie ein Gestörter durch die Szenerie. Aus dieser Umkehrung bezieht Capras Komödie ihren besonderen Charme.
An Grants Seite glänzen exzellente Nebendarsteller, die sich mit perfektem Timing die Bälle zuspielen; aus dem insgesamt makellosen Ensemble seien nur drei angeführt: Peter Lorre (M - Eine Stadt sucht einen Mörder
) als daueralkoholisierter plastischer Chirurg (der im Suff ausgerechnet den Serienkiller Jonathan verschandelt hat), Raymond Massey als vernarbtes Double von Frankensteins Monster und John Alexander als Teddy-Roosevelt-Verschnitt, der im Keller Dutzende von Leichen verscharrt.
Die Fotografie bedient sich mitunter recht gern bei den üblichen Stilelementen des Film noir, der wiederum seine visuellen Wurzeln im deutschen Expressionismus hat: harte Kontraste, markante Schlagschatten, Ausleuchtung von unten, das ganze Programm halt.
Abspann: Ein besonders doppelbödiger Dialog-Gag ging gegenüber der Bühnenfassung freilich verloren. Dort wurde Jonathan Brewster tatsächlich zunächst von Boris Karloff verkörpert, dem Originaldarsteller von Frankensteins Monster, und er regt sich immer furchtbar auf, wenn jemand ganz harmlos meint, er sehe doch aus wie Boris Karloff in diesem Gruselfilm da. Zu den weiteren Bühnendarstellern Jonathans zählt auch der ehemalige Stummfilmregisseur Erich von Stroheim.